Die Ikone des amerikanischen Punkrock – Modern Girl von Carrie Brownstein
Modern Girl – Mein Leben mit Sleater-Kinney
Rock-Biographien sind für mich persönlich per se immer spannend und aufregend. Dass ich mit dieser Meinung nicht allein da stehe, zeigen die hohen Auflagen der Biographien. Mag sein, dass es durchaus an der voyeuristischen der Leser liegt. Bestimmt hat sich schon jeder einmal dabei ertappt, sich auszumalen, wie sein Leben als Rockstar aussehen könnte. Carrie Brownsteins Biographie »Modern Girl – Mein Leben mit Sleater-Kinney« ist dabei das erste Werk einer Punkrock-Sängerin, dass es in meine Leseliste geschafft hat und ich muss gestehen, ich war beim Lesen fasziniert und positiv geschockt zugleich
Text: Andreas Lilienthal | Fotos: Benevento & Charlie Llewellin/ wikipedia.de (CC BY-SA 3.0)
Eigentlich hatte ich eine weitere unreflektierte Musiker-Biographie erwartet, die Geschichten von durchzechten Nächten, Wohlstand, Größenwahn und purem Rock’n’Roll erzählt. Doch um es schon einmal vorweg zu nehmen, Carrie Brownstein meistert den Spagat zwischen einfühlsamen Einblicken in ihr Seelenleben und dem hemmungslosen und anarchischem Punk-Rock mit großer Bravour. Nun werden mich sicherlich viele Punkmusikfans verfluchen, doch Carrie Brownstein als Musikern war mir bis dato kein Begriff. Ich kannte sie eher als erfolgreiche Drehbuchautorin der US-Amerikanischen Comedy Serie Portlandia.
Modern Girl – Gründung im Zuge der Riot Grrrl-Bewegung
Die heute 42-jährige war jedoch in 90er Jahren eine wahre Punkrock-Ikone! Mit ihrer Band Sleater-Kinney. Eine dreiköpfige Punkrock-Band aus Olympia, Thurston County. Genauer gesagt eine Indie-Rock-Band, bestehend aus einem Frauen-Trio, die 1994 im Zuge der Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er Jahre gegründet wurde.
Die Musikerinnen der damaligen Punkband Bikini Kill forderten bereits 1991 in ihrer ersten Veröffentlichung »Revolution Girl Style Now!« Noch im selben Jahr startete die Sängerin der Band, Kathleen Hanna, ein hand-kopiertes Magazin namens Riot Grrrl. Das war der Startschuss einer ganzen Bewegung, die die Punkszene der Neunziger prägte und in Musik und Performance Geschlechterrollen lautstark infrage stellte.
Pure Musik
Doch im Gegensatz zu vielen anderen Bands der Riot-Grrrl Bewegung, definierte sich Modern Girl ausschließlich über Ihre Musik. In ihrem Buch »Modern Girl – Mein Leben mit Sleater-Kinney« lässt Brownstein diese aufregende Zeit nun Revue passieren. Es war für die Autorin die wohl prägendste Zeit ihres Lebens. „Sleater-Kinney war meine Familie, die längste Beziehung, die ich je hatte, die Band bewahrte meine Geheimnisse, sie hielt meine Knochen zusammen, floss in meinen Adern, hat mir unzählige Male das Leben gerettet.“ Dieses schonungslos offene Gefühl, dass sie in diese Zeilen legt, zieht sich durch die gesamten Memoiren.
Eine Abrechnung mit ihrem Leben, ihrem Wirken und ihrer brüchigen Fassade im Kampf um Anerkennung. Wie viele starke Frauen musste Brownstein schon früh Verantwortung übernehmen. Ein jähes Ende ihrer unbeschwerten Kindheit durch die Krankheit ihrer Mutter. Sie musste deshalb früh die Rolle der Ersatzmutter in ihrer Familie einnehmen.
Die Anfänge ihres musikalischen Wirkens bezeichnet sie aus heutiger Sicht eher als Trotzreaktion. Denn immerhin war bei ihren männlichen Freunden üblich Garagenbands zu gründen. Warum sollte sie als Frau da hinten anstehen?
Wider der verhassten Glamourwelt
Von der glamourösen Rockwelt wollten Brownstein und ihre Bandkolleginnen nichts wissen. Mit dieser Einstellung passten sie sich perfekt in die Indie-Rock-Szene der 90er ein. Protest und Verarbeitung der Gefühle stand stets im Vordergrund. Und doch liest sich ihre Biographie so anders als die meisten Memoiren anderer Rock-Legenden. Sie schreibt über Streits, Krankheiten, Krisen, Blockaden und viel Einsamkeit. Sie verherrlicht nichts. Im Gegenteil mich überrascht und überzeugt ihre stete Selbstkritik.
Doch verwundert war ich schon. Keine Stories über Groupies, Affären und zerstörten Hotelzimmern. Im Gegenteil, offen und ehrlich erzählt sie, dass es keine Groupies gab und wenn sie mal mit jemandem im Bett landete, dann stand zog sie das Gespräch der wilden Hemmungslosigkeit vor.
Dafür erfährt der Leser eine detailreiche musikalische Geschichte, die sich stets an der Sleater-Kinney-Discografie entlanghangelt. Sie gibt einen interessanten Einblick in den anstrengenden Tour-Alltag, erzählt von Rückenschmerzen echauffiert sich immer wieder über den sogenannten Alltagssexismus. Dabei entlarvt sie unsäglich diskriminierende Fragen von Journalisten. Denn immer wieder wurden sie gefragt, warum sie nur in Frauenbands spielen würde. Bei Männerbands und männlichen Leadsängern die Frage nie gestellt würde.
Musik als Therapie
Beim Lesen erkennt scheint immer wieder ihre gesteigerte Unsicherheit und komplizierte Beziehung zur Außenwelt durch. Die Gitarrenmusik hilft ihr stets dabei, um zu dieser einen bindenden Strang aufzubauen. Carrie Brownstein hat sich durch ihre Musik therapiert.
Doch suhlend in diesem Hochgefühl kommt der Leser auch schon zum traurigsten Kapitel ihrer Geschichte. Nach über zehn Jahren Bandgeschichte geht es mit Carrie wieder bergab. Während das Hochgefühl auf der Bühne nicht abzureißen scheint, leidet sie abseits dieser immer mehr. Sie vermisst ihre Heimat und ihre Ruhe. Dieses Gefühl führt soweit, dass sie ihre Hand in einer Tür zerschmettern will, nur um nicht mehr auftreten zu müssen.
Im Jahr 2005 gehen Carrie Brownstein, Corin Tucker und Janet Weiss getrennte Wege. Das vorläufige Ende von Sleater-Kinney war beschlossen. Doch 2015 gab es eine erfolgreiche Réunion. Für Brownstein das Ende einer langen Irrfahrt und das Wiederfinden ihrer eigentlichen Heimat.
Fazit von Modern Girl
Besonders beeindruckt war ich von Brownsteins bildreichem Schreibstil ist bildreich. Während sie eigentlich eine chronologische Biographie verfasst, schafft sie es immer wieder, den Leser aus dem eigentlichen Geschehen herauszureißen und in eine fremde Welt voller Sidestory zu ziehen, ohne ihn von der Gesamtstory abzulenken.
Obwohl ich Brownsteins Buch »Modern Girl – Mein Leben mit Sleater-Kinney« vielmehr als Bandbiografie einstufen würde und nicht wie vorher proklamiert als persönliche Biografie, gebe ich meine absolute Leseempfehlung. Insbesondere der Schreibstil und die Schonungslosigkeit ihrer Geschichten haben letztlich überzeugt.
Modern Girl – Mein Leben mit Sleater-Kinney
Autorin: Carrie Brownstein;
Beneventobooks 2016;
264 Seiten, 24,00 Euro;
ISBN: 978-3-7109-0005-1
:: Mehr Informationen unter http://www.beneventobooks.com