Die Affäre Schiwago – eine atemberaubende Geschichte
„Wenn Menschen Poesie lieben, dann lieben sie auch die Dichter. Und niemand liebt die Poesie so sehr, wie ein Russe.“ Ein berühmtes Zitat aus einem berühmten Roman, der später auch noch ein bedeutender Filmklassiker wurde. Ende 1957 erschien Boris Pasternaks „Doktor Schiwago“ erstmals auf dem Buchmarkt. Doch nicht in Russisch, sondern in italienischer Sprache und das hatte auch seinen ganz speziellen Grund.
Text: Andreas Lilienthal | Foto: WBG Verlag & CIA Museum Collection
Der nobelpreisprämierte Roman Doktor Schiwago von russischen Autor Boris Pasternak war nicht nur eine bloße Liebesgeschichte, sondern eine Regimekritik erster Klasse gespickt mit ganz viel Liebe zum russischen Vaterland.
Welche spannende Geschichte hinter der Veröffentlichung dieses Meisterwerks stecken und was die CIA mit dem Buch zu schaffen hatten, haben nun die beiden Autoren Petra Couvée und Peter Finn in einem äußerst spannenden Sachbuch recherchiert und analysiert.
Für den ersten Sekretär der kommunistischen Jugendorganisation Komsomol, Wladimir Semitschastny war der Schriftsteller Pasternak nichts anderes als ein Schwein. Wenige Sekunden nach dieser Aussage revidierte er das Gesagte und geiferte: „Nein kein Schwein ist er, nicht einmal ein Schwein tut, was Pasternak getan hat!“ Die tosende Menge feierte Semitschastny für diese Hetze, die er am 29. Oktober 1958 im Moskauer Olympiastadion von sich gab. Für die sowjetische Regierung war die Kritik, die die Romanfigur Juri Schiwago am sozialistischen Staat äußerte, zu ätzend, um darüber hinweg zu sehen.
Aufgrund des Blutvergießens nach der Oktoberrevolution 1917 verliert der Arzt Juri Schiwago jegliche Hoffnung in den Kommunismus. Er entlarvt die Revolutionären kurzerhand als „fanatische Sektierer“. Die Brutalität gegen das eigene Volk und die mörderische Zwangskollektivierung der Bauern verurteilte er als „falsche Reform“. Das war zu viel für die Regierung.
Dabei geriet das Buch gar nicht durch die Initiative Pasternaks an die Öffentlichkeit. Denn im Mai 1956 reiste der italienische Journalist Sergio D’Angelo in das Dorf Peredelkino, wo Pasternak lebte und wollte ihn überzeugen, ihm sein Manuskript zu Doktor Schiwago auszuhändigen. Für das vorliegende Buch Die Affäre Schiwago interviewten Petra Couvée und Peter Finn den ominösen Journalisten schrieben seine Geschichte nieder.
Laut D’Angelo hatte ausgerechnet der US-amerikanische Geheimdienst CIA ein großes Interesse an dem Werk, da einen großen Propagandawert hätte. In einer Mitteilung der CIA an die Abteilungsleiter des sowjetrussischen Bereichs des Geheimdienstes steht geschrieben: „Das Buch hat einen großen Propagandawert und zwar nicht nur wegen seiner wesentlichen Botschaft und des zum Nachdenken anregenden Charakters, sondern auch aufgrund der Umstände seiner Veröffentlichung. Wir haben die Gelegenheit, Sowjetbürger dazu zu bringen, dass sie sich fragen, was in ihrem Land falsch läuft. Wenn ein gutes literarisches Werk des Mannes, der als der bedeutendste lebende Schriftsteller Russlands gilt, nicht einmal in seinem eigenen Land erhältlich ist, kann das Fragen aufwerfen.“
Gesagt, getan – zur Weltausstellung 1958 in Brüssel brachte die CIA erstmals auch eine russische Ausgabe von Doktor Schiwago auf den Markt. Für die CIA eine gute Gelegenheit, denn immerhin besuchten rund 15.000 Besucher aus der UdSSR die Weltausstellung. Doch das sollte nur der Anfang sein. 1959 verteilte die CIA weitere Exemplare als Taschenbuch in Wien bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten.
Selten avisierte ein Buch zu solch einem politischen Krimi wie Doktor Schiwago. Couvée und Finn haben daraus ein packendes Buch gestaltet, dass sich selbst wie Roman liest, ohne dabei ins Unwissenschaftliche abzurutschen.
Eine tolle und packende Geschichte zu einem der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts. Ein temporeiches Verwirrspiel um Ideologie, Macht und Kontrolle. Die Autoren Couvée und Finn scheuten dabei keine Anstrengungen. Erstmals erhielten sie Einsicht in die CIA-Akten und recherchierten sogar in russischen Archiven des Kremls und sprachen mit Überlebenden. Herausgekommen ist eine tolle und packende Geschichte zu einem der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts. Ein literarischer Thriller aus der Zeit des Kalten Krieges.
Im Übrigen: Offiziell erschien das Buch Doktor Schiwago von Boris Pasternak in der Sowjetunion erst 1988.
Autor: Finn, Peter & Couvée, Petra
Programmlinie: Wissen Sachbuch
ISBN: 9783806232639
Seitenzahl: 400
Auflage: 1
Hardcover
Sprache: Deutsch
Illustrationen: 21 Illustrationen, schwarz-weiß
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