Kultur? Ja, bitte! Aber leise!

Mit dem Verbot des Ordnungsamtes keine Live-Konzerte mehr veranstalten zu dürfen, sieht sich das Café Central am Hasselbachplatz in seiner Existenz bedroht. Die Betreiber des Central gründeten gemeinsam mit anderen Kulturbegeisterten die Initiative Hassel.Leben, die die Politik zum Handeln anstacheln will. Youngspeech sprach mit den Gründern von Hassel.Leben, der Band Supershirt und dem Beigeordneten für Kultur, Dr. Rüdiger Koch.

SpielbetriebText: Dominik Grittner   Fotos: Café Central, Andreas Chudowski, Hassel.Leben

Magdeburg|Es hat ja schon was von einem Wohnzimmer, das Café Central. Ein bunter Mix von Sesseln und Sofas, die von den Eltern beim letzten Umzug zurückgelassen wurden, Vintage-Tapete und Perserteppiche. Eine unübliche Location für Audiolith- oder Hardcore-Konzerte, aber genau deswegen reizvoll. Nur nicht für einen Nachbarn, der beim Ordnungsamt Beschwerde der Lautstärke wegen eingereicht hat. Die Folge: Das Central ist eingeschränkt in dem, wodurch es bekannt geworden ist – im Veranstalten alternativer Events. Die Betreiber veröffentlichten Tage später eine Art offenen Brief auf ihrer Homepage, in dem es augenzwinkernd heißt, sie hätten einen Orden verdient: „Weil wir die einzige Bar am Hasselbachplatz sind mit einem wöchentlichen Kulturprogramm.“ Dabei würden sie gar keinen Orden wollen, sondern nur „dass man uns nicht anpisst.“

Schon Ende letzten Jahres hatte das Riff am Hassel die Auflage erhalten, nur noch Singer-/Songwriter-Konzerte abhalten zu dürfen. Magdeburg galt sicher nie als eine der Städte, die bei Musikbands ganz oben auf dem Tourkalender stehen, manche Magdeburger bezeichneten ihre Stadt schon als musikalische Grauzone. Das Central hat Bands nach Magdeburg geholt, die man so hier wohl kaum gesehen hätte. Mittlerweile hat sich das Café über die Grenzen Magdeburgs einen Namen gemacht, sicher auch, weil Supershirt ein Live-Video zu 8 000 Mark hier aufnahmen. „Am Central ist toll, dass es nicht nur am Wochenende Konzerte gemacht hat – das ist wichtig für uns“, sagt Hendrik von Supershirt. „Wir sehen gerade die Ecke dort um den Hasselbachplatz als Szene-Ort, die Magdeburg wirklich attraktiver macht. Wie etwa die Alaunstraße in Dresden oder die Karli in Leipzig.“

FrankensteinDas meinen auch die Gründer von Hassel.Leben. Die Initiative soll ein Sprachrohr für alle Magdeburger sein, die den Hassel so lieben, wie er ist. 1500 Facebook-Likes innerhalb einer Woche sprechen eine eindeutige Sprache. Der Hassel darf sich auf Flashmob-Aktionen wie ein Samstag-Morgen-Frühstück vorbereiten. „Wir wollen eine Plattform für jeden bieten, für den ein Kulturzentrum zur Lebensqualität in einer Stadt gehört“, erzählt Jule, Mitgründerin von Hassel.Leben. Sicher: Zur Kultur einer Stadt gehören nicht nur Opernbühne und Literaturlesung, sondern auch Live-Musik, bei der die Dezibelzahl mal etwas hoch gedreht wird. „Wenn solche Interessen in den Hintergrund gerückt werden“, sagt Jule, „kann es eben passieren, dass die jungen Leute in eine andere Stadt ziehen.“ Und wie sieht das mit älteren Bewohnern aus? „Mit Beschwerden der Einwohner muss man umgehen können und gemeinsam eine Lösung finden. Wir wollen Druck auf die Stadt ausüben, damit etwas passiert.“

Man darf von ausgehen, dass die Stadt Magdeburg genauso Interesse an einer blühenden Kulturszene hat wie die Initiative Hassel.Leben. Warum sonst will die Ottostadt Europas Kulturhauptstadt 2020 werden? Für solch einen Titel muss die Stadt die lokale Kultur allerdings fördern. Andererseits muss eine Stadt genauso gut auf die Bedürfnisse einzelner Bürger eingehen. Heißt: Anwohner, die am Hassel nicht schlafen können, haben ein Recht auf Ruhe.

Spielbetrieb„Wenn jemand klagt und Recht bekommt, kann man nicht über ihn hinweg entscheiden“, sagt der Beigeordnete für Kultur, Dr. Rüdiger Koch. „Dennoch sollte jedem klar sein, dass er, wenn er an den Hasselbachplatz zieht, in kein Sanatorium kommt.“ Dr. Koch hat Erfahrung mit solchen Situationen, konnte bereits Beschwerden von Anwohnern bei der Festung Mark entschärfen – indem er sich mit Veranstaltern und Klägern zusammensetzte und eine Lösung fand: „Wir leben ja in einer Gemeinschaft.“

Im Fall Café Central wird es womöglich ähnlich laufen, man wird vielleicht eine Einigung erzielen. Nur zu welchem Preis? Es ist fraglich, ob dann noch in der Frequenz veranstaltet wird, wie es zuvor der Fall war. Es ist fraglich, ob die Gefahr, durch Live-Veranstaltungen ins Visier des Ordnungsamtes zu geraten, auf Betreiber anderer Clubs und Bars nicht hemmend wirkt. Im offenen Brief „Orden“ des Centrals heißt es, sie würden das zeigen, „was die Politik ständig von den Bürgern einfordert: zivilgesellschaftliches Engagement.“ Schlimmstenfalls hat man dieses Engagement mit solch einem Disput gedrosselt.



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