Es geht um Leidenschaft – Interview mit Paul Ronzheimer

„Wir müssen alle journalistischen Herangehensweisen, Konzepte, Überzeugungen und Vorstellungen überprüfen“, sagte Kai Diekmann, der Chefredakteur der BILD im letzten Jahr in einem Interview mit dem Handelsblatt. Eines der wichtigsten Gesichter dieses neuen Wegs ist Paul Ronzheimer, Chefreporter im Politikressort der BILD.

RonzheimerText: Andreas Lilienthal | Fotos: Bild.de

Er ist der BILD-Mann in der Ukraine und in seinen Reportagen fast so präsent wie die Menschen, über die er berichtet. Spätestens seit seinem umstrittenen Dauer-Einsatz in Sachen „Pleite-Griechen“ gehört Ronzheimer zu den bekanntesten Gesichtern einer neuer Generation von BILD- und Ego-Reportern. In den letzten Jahren musste er viel Kritik einstecken (wurde unter anderem vom Journalisten Michael Pantelouris als Griechenland-Hetzbeauftragter bezeichnet) und doch gleichzeitig immer wieder hochgelobt. Mit seinem Kollegen Nikolaus Blome erhielt er beispielsweise den mit 10.000 Euro dotierten Herbert Quandt Medien-Preis für die umstrittene Artikel-Serie „Geheimakte Griechenland“.

Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen und Erlebnisse der letzten Monate gesprochen.

Herr Ronzheimer, wie haben Sie eigentlich die Auswahl für Ihren Arbeitgeber getroffen? War es gezielter Wunsch auf die Journalistenschule des Axel-Springer-Verlags zu landen oder ein für Sie aus heutiger Sicht glücklicher Umstand?
Ich habe meine journalistische Karriere bei der Emder Zeitung in Ostfriesland begonnen. Dort schrieb ich bereits während meiner Schulzeit als freier Mitarbeiter und habe bei der Zeitung nach dem Abitur ein Volontariat absolviert. Danach wurde es mir in Ostfriesland zu langweilig und ich habe mich gefragt: „Gehe ich jetzt studieren oder zu einer anderen Zeitung?“ Dann habe ich eher zufällig entdeckt, dass die Axel Springer Akademie auf eine besondere crossmediale Ausbildung setzt. Das hat mich damals motiviert, noch eine Art zweites Volontariat zu machen.

Die BILD hat ja trotz ihrer Beliebtheit nicht nur Freunde und Gönner. Im Gegenteil, es gibt sogar Menschen, die die Bild für ein Schmierblatt halten. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Ich weiß nicht, was Sie genau mit Schmierblatt meinen. Leute, die so etwas sagen, haben die Zeitung meistens noch nie oder sehr selten gelesen. Jede fundierte Kritik finde ich in Ordnung, aber bei der Auseinandersetzung mit BILD werden viele Kritiker häufig unsachlich. Ich finde, dass sich die BILD gerade in den vergangenen zehn Jahren extrem weiterentwickelt hat und als Medienmarke journalistisch so stark ist wie noch nie. Das sehe ich auch an vielen meiner Freunde, die früher die BILD nicht unbedingt gekauft haben, aber uns im Internet zum Beispiel ganz anders wahrnehmen.

Sie haben Ihre Berichterstattung aus Griechenland in der ZEIT als „Boulevard an der Grenze“ bezeichnet. Können Sie das näher erläutern?
Ich habe nicht die gesamte Berichterstattung so bezeichnet, sondern einen speziellen Artikel. Als wir getitelt haben „BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachme zurück“, war das für einige zu hart. Das kann ich verstehen. Ich glaube dennoch, dass der Boulevard genau so etwas dürfen muss. In vielen großen Wirtschaftszeitungen wurde das Thema damals rauf und runter diskutiert, wir dagegen haben uns Drachmen besorgt (was gar nicht so leicht war) und die Menschen auf der Straße gefragt, ob sie eine Rückkehr befürchten. Viele meiner griechischen Freunde können heute darüber lachen und sagen: „Paul, eure Berichte waren heftig, aber sie haben uns auch ein bisschen aufgeweckt!“

In der Sendung von Maybrit Illner, in der Sie zu Gast waren, stand ein Mann aus dem Publikum auf und steckte Ihnen ein Zehn-Euro-Schein zu. Damit Sie, laut Aussage des Mannes, mal bessere Reportagen schreiben. Sind Sie auf solche Zwischenfälle als Journalist gewappnet oder nehmen Sie sich so etwas zu Herzen?
Ich nehme mir sachliche Kritik zu Herzen, aber sicherlich nicht solche Aktionen. Wahrscheinlich wollte der Mann nur selbst mal ins Fernsehen kommen. Generell gilt für mich: Jeder, der mir sachlich schreibt, bekommt eine Antwort. Ich bin für Kritik offen.

Während Ihrer Berichterstattung in Ukraine haben Sie tausende Hassmails bekommen. Haben Sie sich noch die Mühe gemacht, diese zu beantworten oder resigniert man an einem bestimmten Punkt? Wie geht man damit um?
Ich hatte noch nicht so viel Zeit darüber nachzudenken, da für mich die Berichterstattung im Vordergrund steht. Was mir ehrlich Sorgen macht, ist die Tatsachenverdrehung auch vieler junger Menschen. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn jemand Putins Vorgehen in der Ukraine in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen will. Das ist nach meinen demokratischen Maßstäben nicht zu rechtfertigen. Gleichzeitig höre ich von denjenigen, die Putin verteidigen, extreme Kritik an den USA. Über diesen wachsenden Antiamerikanismus mache ich mir tatsächlich Gedanken, weniger über irgendwelche Hassmails.

Sie mussten aus der Region Slawjansk fliehen, weil der russische Journalist Dimitri Steschin, der für die „Komsomolskaja Prawda“ schreibt Ihnen direkt gedroht hatte. Via Twitter verbreitete Steschin, dass der Provokateur geschnappt werde (“The provocateur will be caught”). Damit waren Sie gemeint. Kommt dann irgendwann einmal der Punkt, an dem man sich denkt: Warum mache ich das hier?
Nein, ich weiß genau, warum ich meinen Job mache. Ich will auch aus schwierigen Regionen berichten, was dort passiert. Natürlich gibt es in vielen Konflikten auch für mich ein Risiko. Aber das gehört in unserem Beruf dazu.

Wer entscheidet denn in der Regel, welche Fragen sich die Leser stellen? Der Reporter selbst oder ist es die Philosophie der Zeitung?
Es geht allein um das öffentliche Interesse, also die Leser. Der Krieg in der Ukraine oder der Vormarsch von ISIS sind Themen, die die Menschen bewegen. Hier gilt es, so viele Informationen wie möglich zu sammeln und so nah dran wie möglich zu berichten.

Der Druck der Gesellschaft auf den Reporter „interessante Artikel“ abzuliefern ist unbestritten. Aber wie viel Druck kommt hinzu, wenn man sich selbst oder eben die Philosophie der Zeitung auferlegt, immer der Erste zu sein, der Informationen erhält?
Ich halte es für einen völlig natürlichen Druck, der Erste sein zu wollen. Wenn ich diesen Druck irgendwann nicht mehr spüren sollte, würde ich mir einen anderen Job suchen. In den krisenhaften Zeiten des Journalismus‘ gilt noch viel mehr als früher: Nur diejenigen, die mit dem Herzen dabei sind, die wirklich alles geben wollen als Reporter, haben eine Daseinsberechtigung. Jemand, der Reporter wird, ergreift nicht einfach nur irgendeinen Job. Es geht um Leidenschaft.

Dürfen Journalisten Aktivisten sein? Müssen sie gar? Oder disqualifiziert sie das auf diesen Themenfeldern als Journalisten?
Ich halte es für richtig und wichtig, für eine „gute Sache“ einzutreten. Jetzt kann man streiten, was eine „gute Sache“ ist. Nehmen wir die Ukraine: Ich persönlich habe den Freiheitsdrang der Ukrainer von Anfang an als beeindruckend empfunden. Diesen Standpunkt darf ich meinen Lesern natürlich vermitteln. Das heißt aber nicht, dass wir in diesem Zusammenhang keine Dinge mehr kritisch betrachten können.

Haben Sie abschließend noch einen Tipp für junge Journalisten?
Schreibt so früh so viel wie möglich! Arbeitet mehr als alle anderen! Macht in den Konferenzen den Mund auf und überrascht mit tollen Themen!

 


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