Vom Kosovo über Frankreich bis nach Halle

Die Geschichte einer mutigen Frau – Der Kosovo ist ein kleiner Staat, der für 1,8 Millionen Menschen Heimat bedeutet. Er ist ein Land, in dem Krieg herrschte als die meisten von uns gerade in die Grundschule oder in den Kindergarten kamen. Der bewaffnete Konflikt führte vor allem zur Flucht von Hunderttausenden.

RefugeesText: Laura (YouthPOOL) | Fotos: Agathi Chira, fm4.ORF.at

Letzten Sommer traf ich mich mit Agnes*. Sie hat den Krieg als Jugendliche miterleben müssen und erzählte mir ihre Geschichte, die sie schließlich nach Halle geführt hat.

Wir treffen uns an einem sonnigen Nachmittag im Frauenhaus. Agnes spricht sehr gut deutsch, ihr Akzent fällt kaum auf. Im Januar 2010 verließ sie den Kosovo und ging mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter nach Frankreich. 1,5 Jahre verbrachten sie dort, bis Agnes es nicht mehr aushielt und alleine mit ihrer Tochter nach Deutschland ging. Hier fühlt sie sich vor allem deshalb wohler, weil sie mehr soziale Kontakte hat und sich freier bewegen kann. In Frankreich war sie völlig isoliert. Ihr Mann verbot ihr das Haus zu verlassen. Agnes versuchte sich die Sprache selbst durch fernsehen beizubringen. Einen Kurs besuchen und mit anderen Leuten in Kontakt treten, durfte sie nicht.

Wie es dazu kam, ist eine lange Geschichte. Als der Kosovo-Krieg ausbrach, flohen Agnes’ Eltern und die 13-Jährige blieb mit ihrer Schwester beim Bruder des Vaters im Kosovo. Sie sagt, dass sie immer noch traumatisiert sei von den damaligen Ereignissen und unter Schlaflosigkeit und Depressionen leidet. Bereits im Kosovo nahm sie an einer Gesprächstherapie teil. In die Psychiatrie wollte sie nicht. Das lag nicht daran, dass sie die Therapie nicht gewollt hätte, sondern daran, dass sie von der Gesellschaft als ‘dumm und nutzlos’ abgestempelt worden wäre. 14 Jahre später ist Agnes immer noch in Therapie. Zu dem Trauma das sie als Jugendliche erlitten hat, kamen noch einige weitere schreckliche Erlebnisse hinzu.

Mit nur 17 Jahren heiratete Agnes. Aus Liebe. Ihr Mann und sie verstanden sich anfangs sehr gut und sie war sehr glücklich – auch wenn die beiden sehr unterschiedlich sind. Agnes wuchs in einem relativ liberalen Haushalt auf. Die Eltern ihres Mannes waren sehr streng und konservativ, was die Erziehung ihrer Kinder anbelangte. War das junge Paar alleine, war alles gut. Sobald sie jedoch bei seinen Eltern waren, schien er völlig verändert. Mit der Zeit benahm er sich jedoch auch in Abwesenheit seiner Eltern anders. Er wurde gewalttätig und wollte Agnes immer und überall kontrollieren. War er geschäftlich im Ausland unterwegs, wurde sie von seinen Brüdern und seinem Vater überwacht.

Agnes ging zur Polizei – leider ohne Erfolg. „Die Polizei ist bestechlich. Wenn die anderen mehr Geld haben als du, dann helfen sie dir nicht“, sagt sie mir. Sie versuchte in einem Frauenhaus unterzukommen. Auch hier: ohne Erfolg. Man schickte sie weg und sagte ihr, dass das kein Platz für sie wäre, da dort nur Prostituierte untergebracht wären. Außerdem sei man dann noch mehr isoliert. Niemand will mehr Kontakt zu einem haben und eine richtige Arbeit zu finden, kann man sich dann erst recht abschminken.

Agnes sagt, dass sich in den letzten fünf Jahren bestimmt viel im Kosovo geändert hat. Richtig überzeugt davon scheint sie jedoch nicht zu sein. Aber damals sei es eben sehr unüblich gewesen, sich von seinem Partner zu trennen oder gar scheiden zu lassen. Der Kontakt zu Freunden*innen und Bekannten ging verloren. Nachbarn fingen an zu reden. Das Verhältnis zu ihrem Mann wurde immer schlimmer, als er davon erfuhr, dass sie zur Polizei gegangen war. Sie wurde noch stärker von ihm und seiner Familie kontrolliert. Oft durfte sie nicht einmal alleine einkaufen gehen. Trotzdem entschloss sie sich dazu, mit ihm nach Frankreich zu gehen – in der Hoffnung alles würde wieder besser werden, wenn sie weit weg von seiner Familie wären. Vielleicht würde er sich wieder ändern. Doch auch daraus wurde nichts. Agnes überlegte, alleine mit ihrer Tochter, in den Kosovo zurückzugehen. Aber sie hatte große Angst, dass die Familie ihres Mannes davon erfährt und ihr das Kind wegnehmen würde. „Auch wenn das Gericht verkündet, dass das Kind bei der Mutter bleiben soll – wenn die andere Partei mehr Geld hat, hast du keine Chance. Die Entscheidung des Gerichts wird dann sowieso nicht akzeptiert“, erzählt sie.

Ihr Mann ahnte, dass sie ihn verlassen will und als er ein paar Tage geschäftlich unterwegs ist, schickte er seinen Bruder nach Frankreich, um auf Agnes aufzupassen. Dennoch nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und buchte Zugtickets für sich und ihre Tochter – von Frankreich nach Deutschland. Niemand wusste davon, doch sie sah die Flucht nach Deutschland als ihre einzige Chance. Hier hat sie ein paar Verwandte bei denen sie eine Weile unterkommen konnte, bis sie den Papierkram erledigt hatte.

Ihre Cousine setzte sich für sie ein, kontaktierte einen Anwalt und gemeinsam gingen sie nach Dortmund, um einen Antrag auf Asyl zu stellen. Man versicherte ihr, dass man sie nicht nach Frankreich zurückschicken würde. Drei Wochen später kam ein Schreiben, in dem stand, dass man sie nicht nach Frankreich, dafür aber mit sofortiger Wirkung in den Kosovo abschieben will. Doch das war für Agnes keine Option. Sie wollte nicht mehr in Angst leben, sie wollte frei sein. Ihre Cousine und ihr Anwalt setzten sich für sie ein und reichten eine Klage ein. Das Verfahren wurde wieder aufgenommen, aber in Dortmund (wo sie ja bereits Familienmitglieder und Kontakte hat,) sei sowieso kein Platz für sie. Sie wurde nach Bielefeld geschickt. Aber auch dort wurde sie weiter geschickt und musste für eine Weile in Halberstadt bleiben, bis man ihr einen Platz in Halle (Saale) zuwies. Ihr gehe es ganz gut hier, sagt sie. Sie fühlte sich sicher, hatte ein paar Kontakte geknüpft und die Sprache gelernt. Ab und zu unternahm sie etwas mit den anderen Frauen aus dem Frauenhaus. Ihre Tochter ging auf die Schule und hatte viele Freund*innen in ihrer Klasse gefunden. Doch ihr Aufenthaltsstatus war immer noch nicht geklärt. Solange durfte sie auch nicht arbeiten. Agnes hatte im Kosovo den Hauptschulabschluss gemacht. Sie träumte davon, einen Hochschulabschluss zu machen und vielleicht sogar im sozialpädagogischen Bereich zu arbeiten. Sie wusste, dass es bis dahin ein sehr langer und harter Weg werden würde.

Sie fühlte sich wohl in Halle. „So sehr falle ich hier ja auch nicht auf mit meinen blonden Haaren und meiner hellen Haut“, sagt sie und lacht. Sie findet, dass sie damit Glück hat. Agnes weiß, dass ein paar der anderen Frauen das nicht so empfinden. „Wenn man ein Kopftuch trägt, fällt man hier einfach mehr auf“. Religiös sei sie nicht besonders, aber sie halte sich an den Ramadan. Sie liebt das Zuckerfest, wenn alle Verwandten und Freund*innen zusammenkommen und gemeinsam kochen und essen. Familie und Freund*innen fehlen ihr natürlich am meisten.

Sie versucht auch, trotz all dem Vergangenen, sich nicht in sich zurückzuziehen und nicht zu viel in der Wohnung zu sitzen. Ihr ist es sehr wichtig, unter Leute zu kommen. Ab und zu gönnt sie sich ein Eis oder geht ins Café – Dinge, die sie ganz früher mal mit ihren Freund*innen im Kosovo gemacht hat. Jetzt macht sie solche Sachen alleine. „In solchen Momenten denke ich mir manchmal, dass ich das genauso gut zu Hause hätte machen können, weil ich ja so oder so alleine bin“.

* Name geändert


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