Kurzgeschichte: „Männer, Wölfe“ von Dominik Grittner

Hallo, mein Name ist Dominik Grittner und ich habe mich in den Server von Youngspeech eingehackt um meine Kurzgeschichten hier online zu hauen – die Firewalls von ZEIT waren leider zu stark. Ich hoffe, euch gefällt die Story und ihr erkennt etwas mehr drin als nur Sex & Gewalt – ich nämlich nicht. Nein, Quatsch. Es geht um einen ziemlichen Schuft von Mann, der zwei Frauen ziemlich schlecht behandelt und diese Frauen damit ziemlich zum Abdrehen bringt. Die Story wurde von der Band Trophy Scars aus New Jersey inspiriert, das Video zum Song hab ich euch hinten dran gepackt.

STFUText: Dominik Grittner | Illustrationen: Sarah Neuendorf

Teil 1

Manchmal glaube ich, ich bin ein schlechter Mensch. Anna Lucia sagt das jedenfalls, also nicht direkt, sie verpackt das ganz schlau: Sie sagt, ich wäre ein Wolf. Wenn ich sie von hinten nehme und ihr in den Nacken beiße, dann sagt sie immer: „Gib es mir Wolf! Nimm dir, was du brauchst, Wolf.“ Im Bett komm ich mit dem Wolf-Sein gut an, wenn es aber um Nähe zu Anna Lucia geht, misstraut sie mir. „Du bist ein Wolf“, sagt sie dann. „Du beißt mir in den Nacken, wirst mich schütteln bis ich tot bin und mich dann einfach liegen lassen.“

Anna Lucia und ich wohnen seit zwei Monaten zusammen. Das heißt: Sie hat sich bei mir eingenistet. Das ist okay. Ich wohne erst seit kurzem in Berlin, habe einen Studentenjob bei der „Zeit“ und schreibe für die Online-Seite, die andere Tageshälfte hocke ich in Cafés und schreibe Kurzgeschichten, verticke nebenbei ein paar Teile und etwas Grün. Offiziell bin ich für ein Studium in BWL eingeschrieben.

Anna Lucia ist ziemlich verrückt. Eifersüchtig wie nichts Gutes. Einmal erzählte ich eine Story in der ein Mädel vorkam, mit der ich mal was hatte. Wenn ich so was sage schaut Anna Lucia beleidigt/nachdenklich nach unten, sagt keinen Ton, lacht nicht bei der Pointe. Manchmal knirscht sie mit den Zähnen, was ich sehr unweiblich finde. Dann fragt sie irgendwas wie: „Warum erzählst du mir das?/Denkst du öfter an sie?/Warum ging es mit ihr auseinander?“ und wenn sie einen besonders guten Tag hat: „War sie besser im Bett als ich?“ Die Frau hat eine totale Schacke.

Recht am Anfang unserer Beziehung erzählte ich von den Kopfkissenersatz-geeigneten Brüsten meiner Ex. Das wollte die gute Anna Lucia nicht hören, redete davon, dass sie sich bei mir nicht sicher fühle, wenn ich so was erzähle und blabla und dann ging sie in die Küche und begann, meine Kaffeetassen aus dem Schrank zu schleudern, quer durch die Wohnung. Ich saß im Bett und schaute mir das Prozedere an. Ich sagte keinen Ton. Nur als sie fertig war: „Du bist völlig verrückt.“

Am nächsten Tag kam sie mit einem neuen Tassenset von der Arbeit, kaufte mir zwei Sechser Veltins, betrank sich mit mir. Dann hatten wir Sex. Sie trug immer ein Nachthemd, wenn sie Sex wollte. Wenn ich von der Arbeit kam und sie hatte das Nachthemd an, dann war bereits alles klar. Im Bett ist sie wirklich unheimlich gut. Völlig befreit, sie giert manchmal nach meinem Schwanz wie ein Löwe nach einer jungen Antilope. Und Anna Lucia schreit viel beim Sex, als würde mein Schwanz sie durch eine Reise quer durchs All schicken. Sie geht richtig ab. Aber ich denke, das tun wohl alle Frauen, die irgendwas loswerden müssen.
Wenn Anna Lucia mich reitet, wenn sie ausrastet, wenn sie zur Entschuldigung Veltins mit nach Hause bringt, dann fühlte ich ihre Liebe. Ihre hingebungsvolle, unabdingbare Liebe. Der größte Player könnte ihr den Hof machen, sie entscheidet sich für mich. Ich könnte sie beschimpfen und bespucken, sie bleibt bei mir. Ihre ganze Liebe, die sie für sich nicht übrig hat, schenkt sie mir. Klar, dass das gegen die Wand gehen muss.

Ich lernte Anna Lucia auf einer Silvesterparty in Berlin kennen. Bei Peter, einem guten Kumpel. Wir spielten eine Runde Flunkyball ins neue Jahr, vor einem Hauseingang, sodass die ganzen Idioten, die um null Uhr auf die Straße wollten um Böller zu zünden, nicht durchkamen oder über das Spielfeld rennen mussten. War das der Fall, pöbelten wir die Leute an: „Ey verpiss dich!/Ey du lebst wohl nicht gern!“ Anna Lucia war eine von diesen Idioten und fragte, ob sie mitspielen könne. Mir ging sie, ehrlich gesagt, zunächst auf den Sack. Sie spielte bei meinen Gegnern, verstand das Spiel nicht, trank Bier an den falschen Stellen. Dazu kam, dass sie Spanierin war. Spanier sind die einzigen Ausländer, die Deutsch ohne Akzent sprechen. Natürlich klingt ihr Deutsch etwas holprig, wie bei jedem Ausländer. Aber dadurch, dass der Akzent fehlt, denkst du, du unterhältst dich mit einer Sprachbehinderten.

Wir wollten Anna Lucia zunächst mit Ewald verkuppeln. Ewald fand sie süß, das konnte er nicht verbergen. Kein Vorwurf: Anna Lucia sieht Charlotte Gainsbourg recht ähnlich und zu der Zeit lief grad Nymphomaniac an, also standen eh alle auf die Gainsbourg. Ewald war früher auf dem Sportgymnasium und spielte Handball. Wir erzählten Anna Lucia, dass Ewald Weltmeister im Handball bei den Paralympics sei. Anna Lucia fand das irre witzig. Uns fiel auf: Wir verkaufen Ewald ganz schön schlecht. Also sagte Peter: Ewald hätte einen großen Penis. Riesengroß. „Ich habe mit vielen Frauen geschlafen“, sagte Peter, „und jede hat danach mit Ewald geschlafen und sagte dann zu mir: Der Ewald ist viel besser im Bett als du.“

Drei Uhr früh landeten wir wieder in Peters Bude, Ewald nahm Anna Lucia mit. Ich war betrunken und übermüdet, da begann ich Call of Duty zu zocken, traf kaum noch einen Gegner. Anna Lucia setzte sich zu mir erzählte, dass sie Breaking Bad-Fan sei und dass sie einmal Vince Gilligan getroffen habe und ihn fragte, welche Drogen er schon ausprobiert habe und er sagte: „Diese Frage kann ich nicht kommentieren“ und sie sagte daraufhin: „Das ist ja enttäuschend.“ Ich glaube, von da an fand ich Anna Lucia witzig. Später tanzten wir zu Karl Dalls „Heute schütte ich mich zu“ und blieben als letztes von der Feiergemeinschaft wach. Wir liefen rüber zum Spätshop, wo uns ein dicker Türke namens Bahri angeboten hat, einen Birnenschnaps (mit einem Stück Birne darin!) zu trinken: Ein Euro Fünfzig. Sollte er uns nicht schmecken, würden wir unser Geld zurück kriegen. Das Zeug hatte was von Pferdepisse gemixt mit vergammelter Birne. Das sagte ich Bahri und er wollte unser Geld nicht rausrücken. Und Anna Lucia sagte: „Gib ihm das Geld zurück, du blödes Arschloch“ und ich sagte: „Leg dich nicht mit ihm an, er ist Türke und heißte Bahri“ und sie sagte: „I am the One who knocks!“ Es hatte was von einem kitschigen Hollywood-Comedy-Moment, aber in diesem Moment hatte ich das Verlangen, sie zu küssen und war betrunken genug, es einfach zu tun. Also küssten wir uns vor dem dicken Türken, der uns gerade über den Tisch gezogen hatte und fuhren zu mir und schliefen miteinander.

Teil 2

Zwei Monate später ging ich zu einem Dealer-Kollegen, von dem ich das beste Gras der Stadt bekam. Ich habe mittlerweile aufgehört, mit Chemie zu dealen, dafür komme ich mit dem Job bei der Zeit zu gut über die Runden. Marco ist ein guter Freund aus alten Tagen, wir hingen beide in Magdeburg viel miteinander rum. Er hat mittlerweile einen ziemlichen Absturz hingelegt, ist ständig blank und nimmt allerhand Drogen. Vor langer Zeit studierte er Maschinenbau, nun ist er, soweit ich weiß, arbeitslos und wohnt in einer WG mit einem chinesischen Pärchen und einem Junkie. Ich mache immer Witze darüber, dass der Chinamann ihn stets zu Hause mit einem Glückskeks empfängt und den Spruch laut vorliest: „Malco! Malco! Wenn Tüle ist zu, du kommen net lein!“
Ich denke, Marco profitiert immer noch von seinen guten Connections. Das hält ihn über Wasser.
Ich besuche Marco und tatsächlich sitzt der Chinese mit seiner Frau gerade in der Küche und isst mit ihr Reis. Wir gehen in Marcos Zimmer, Marco schnippelt mir ein bisschen Gras zurecht und erzählt von einer Christina, mit der wir mal zusammen feiern waren.

„Du weißt doch noch, die Blondine?“
„Ja, sie hatte so einen roten Minirock an.“
„Ja, genau.“
„Was ist mit der?“
„Die hat nach dir gefragt.“
„Okay.“
„Glaub, die steht auf dich.“
„Okay.“
„Journalist und Schriftsteller… du hast auch ‘nen Glück.“
„So abgefuckt wie du bist, sagst du das sicher zu jedem, der nen Job hat.“
„Willst du Christina treffen? Ich sehe sie nachher.“

Ich erinnerte mich an Christina. Sie war wirklich umwerfend. Große Klappe, ein kurzer Rock, der viel zu viel Hintern zeigte, ein Gesicht wie Scarlett Johannsen. Ich wollte sie. Damals schon. Und ich sagte zu Marco:
„Okay.“
„Gut, ich gebe ihr deine Handynummer.“
„Okay.“
„Dann kannst du mit ihr einen Milchshake trinken gehen.“
„Oder ein Schnitzel essen.“
„Alter Romantiker.“

Christina meldete sich noch am selben Abend und wir machten ein Treffen aus.
Als ich auf dem Weg zu Christina war, rief Anna Lucia. Bad Timing. Das machte mir ein echt schlechtes Gewissen.
„Wo bist du, Baby?“, fragte sie.
„Noch unterwegs.“
„Wohin?“
„Herrgott, musst du denn alles wissen?“
„Sei kein Arsch.“
„Ich melde mich später.“

Als ich bei Christina ankam, verflog mein schlechtes Gewissen. Ich vergaß Anna Lucia. Christina fackelte nicht lange. Wir landeten schnell miteinander im Bett. Sie sagte noch beim Ausziehen: „Ich habe lange auf dich gewartet.“ Der Sex mit Christina war wild, wir schüttelten uns gnadenlos durch. Sie kratzte mir den Rücken, sie biss mir in den Hals. Auch sie hatte was loszuwerden.
Ich schlief öfter mit Christina, aber es war leider nur das erste Mal Sex, der mit ihr unbeschwert verlief. Christina ist zwar umwerfend schön, aber sie ist arbeitslos, kifft viel zu viel, hängt zu oft auf schlechten Partys rum und schaut ständig Berlin Tag & Nacht. Außerdem schläft sie viel. Einmal sagte ich zu ihr:
„Das ist ungesund.“
„Was?“
„Dass du so viel schläfst.“
„Da magst du Recht haben.“

Christina hatte ihren Glanz schnell verloren. Ich ging trotzdem weiterhin zu ihr. Ich mochte beim Sex ihren Einfallsreichtum. Sie dachte sich immer Rollenspiele aus. Manchmal richtig perverse. Einmal sollte ich ihr Vater sein, den sie 20 Jahre lang nicht gesehen hatte. Und ein anderes Mal ein Sklavenhalter, der eine Horde Frauen mit dem Boot nach Amerika bringt. Das gefiel mir.
Was mir nicht gefiel: Sie wollte nicht, dass ich gehe. Sie ließ sich immer etwas einfallen: „Ich habe Magenschmerzen. Bleib bitte noch und streichle mir den Bauch/Ich bin so verspannt, bitte massier mich doch noch/Ich bin so gestresst, ich brauche deinen dicken Schwanz.“ Das ging mir wirklich auf den Sack. Eine Zeit lang machte ich das mit. Aber irgendwann reichte es mir und ich brüllte: „Lass mich gehen, wenn ich gehen will“ und verpisste mich.
Einen Tag später lauerte sie mir beim Einkaufen auf. Keine Ahnung, woher sie wusste, dass ich im Kaufland einkaufen gehe, aber auf einmal stand sie da, bei den Gurkenregalen. Sie trug einen schwarzen Mantel mit nichts drunter, zerrte mich in die Regale und zwang mich, ihre Brüste zu massieren.
„Du bist völlig verrückt.“
„Nimm mich.“
„Du bist völlig verrückt.“

Ich massierte ihre Brüste und sie holte mir einen runter. Zwischen den Gurkenregalen. Kunden schoben den Einkaufswagen an uns vorbei, fast im Laufschritt. Ich glaube, eine alte Frau rief sogar: „Ihr Schweine!“ Aber das bekam ich nicht richtig mit.

Ich kam nach Hause und Anna Lucia wartete in Nachthemd auf mich. Ich muss extrem nach Sex gerochen haben. Muschigeruch bleibt haften. Anna Lucia roch nichts. Sie begrüßte mich, steckte mir ihre Zunge in den Mund.
„Ich muss erst duschen“, sagte ich.
„Nimm mich, mein Wolf.“
„Nein, ich gehe erst duschen.“

Es endete damit, dass wir es unter der Dusche machten. Gott, ich fühlte mich so mies. Ich trickste zwei Kinder gegeneinander aus.
Als wir fertig waren sagte Anna Lucia: „Ich hab ein Geschenk für dich.“
Vor einer Woche lief ein Song von Frank Turner im Radio, als wir miteinander im Bett lagen. Ich sagte bloß: „Oh man, ich liebe diesen Song.“ Und was macht Anna Lucia? Sie kauft mir das Album. Es fühlte sich so falsch an. Ich küsste sie, bedankte mich nicht. Das konnte ich nicht. Ich küsste sie und währenddessen kamen mir die Tränen.

Ich meldete mich ein paar Tage lang nicht bei Christina. Dann überraschte mich Christina auf Arbeit. Sie lief einfach in die Redaktion rein, mit ihrem roten Minirock und einem viel zu tiefen Ausschnitt. So hatte ich sie lange nicht mehr gesehen. Wenn ich bei ihr war sah ich sie immer nur in viel zu großen Joggingklamotten.
Christina kam an meinen Schreibtisch.
„Wir müssen reden“, sagte sie.
„Bist du völlig bescheuert?“
Wir gingen in den Kopierraum auf der Stirnseite des Gebäudes. Ein kleines Hinterzimmer, hat eher Abstellkammerflair. Bevor ich ein Wort sagen konnte, hielt Christina meinen Schwanz in der Hand. Sie massierte ihn, schnell, als hätte sie es eilig oder: Als hatte sie Sex dringend nötig. Ich mag den Thrill von öffentlichen Plätzen. Darum kam ich schnell. Ich sagte kein Wort, während wir es taten.
Nach dem Sex sagte ich: „Es ist aus.“
Wenn sie mir schon auf Arbeit auflauerte, war es wahrscheinlich, dass sie auch irgendwann bei mir zu Hause aufkreuzte. Und mit ihr erwischt zu werden, das war es mir nicht wert. Anna Lucia war mir zu wichtig. Zu wichtig, um sie wegen einer Frau zu verlassen, die die Hälfte ihres Lebens Schlabberklamotten trug und Reality TV schaute. Ich wette, sie wusste vor mir nicht mal, dass „Die Zeit“ eine Zeitung ist.
„Sag das nochmal“, sagte Christina und küsste mich.
„Ich scherze nicht. Ich beende das.“
„Wie? Du beendest es?“

Ich sagte nichts, blickte sie nur ernst an.
Christina ging aus dem Kopierraum, in die Reaktion. Sie stellte sich mitten in die Redaktion, zeigte mit den Finger auf mich und rief: „Jerome Getter vögelt mich im Kopierraum, um danach mit mir Schluss zu machen!“
Dann wandte sie sich zu mir und sagte: „Ich erzähl alles deiner Freundin.“
Und mir fiel nichts Besseres ein als zu sagen: „Mach doch.“
Christina ging. Und ich stand da, mitten in der Reaktion, alle glotzten mich an, wie den Affen im Zoo.

Teil 3

Nachdem ich meine Abmahnung bekam, betrank ich mich in meiner Lieblingsbar, kam um drei nach Hause. Mir war danach, Anna Lucia in den Arm zu nehmen, sie zu küssen. Trotz oder gerade wegen meines schlechten Gewissens. Erzählen konnte ich es der verrückten Kuh auf keinen Fall, sie würde mir im Schlaf die Eier abschneiden oder sonstwas.

Als ich nach Hause kam: Keine Anna Lucia. Ihr Nachthemd lag quer übers Bett geschmissen, die Frank Turner CD lag auf Tisch vor meiner Pioneer-Anlage: Hülle zerschmettert. Als hätte sie einmal mit der Faust draufgeschlagen. Mir war klar, was geschehen ist.
Ich fand keine Ruhe. Schlechtes Gewissen hin oder her, ich sollte zumindest warten, bis sie zurück kommt und genug Anstand haben, ihr ins Gesicht zu sagen, dass ich sie betrogen habe.
Ich setzte mich auf den Balkon, trank Bier und schaute den Vögeln im Hof zu, wie sie von Baum zu Baum flatterten. Mitten in der Nacht, die Tiere sind völlig bescheuert. Ich dachte mir: Hättest du ein Luftgewehr, du würdest sie alle abknallen. Du würdest den ersten abknallen, die anderen Vögel würden flüchten und wenn sie Stunden später zurückkommen um ihrem Freund die letzte Ehre zu erweisen, würdest du auch sie abknallen. Du würdest lauern, ganz egal wie lange. Die ganze Nacht.

Und als dann ein fetter Kater über die Mauer balancierte, wünschte ich mir das Luftgewehr noch viel sehnlicher.
Es war längst hell und die vier Veltins hatten mich noch viel müder gemacht. Muss wach bleiben, bis Anna Lucia wieder da ist, dachte ich mir. Also ging ich in die Wohnung, legte Frank Turner ein und fing an, zu der Musik zu tanzen. Ich stolperte etwas, es muss furchtbar ausgesehen haben. Ich lallte die Texte halb mit.
Und dann öffnete sich die Tür. Mitten in meiner Konzerteinlage.
Anna Lucia stand da, sah aus wie ein Haufen Mist. Weiße Bluse, ohne Hose. Verheult, lockige, durchnässte Haare, runtergelaufener Mascara bis zum Kinn.

Sie sagte kein Wort, legte sich ins Bett. Und fing an zu heulen und schrie: „Mach doch mal die Scheißmusik leiser!“
Ich schaltete die Anlage aus, ging zu ihr ins Bett.
„Tut mir leid“, sagte ich.

Sie schaute mich ausdruckslos an. Sie hätte jeden Moment bewusstlos werden oder mich töten oder sich selbst töten können.
Mit der Rechten schmierte sie sich die Tränen aus den Augen. Sie trug eine weiße Bluse, der Ärmel an der rechten Hand war mit Blut eingesaut.
„Ich hatte eine Ahnung…“
„Eine Ahnung?“
„Und dann hat sie angerufen und mir alles erzählt.“
„Okay.“

Sie fing wieder an zu heulen.
„Woher kommt das Blut?“, fragte ich sie.
„Oh Jerome, es ist so schrecklich.“
„Ja.“

„So furchtbar. Ich bin nur noch kaputt.“
„Ja.“
Sie umarmte mich.
„Sag, dass du mich liebst.“

Wenn es hilft… „Ich liebe dich.“
Und der nächste Tränenausbruch.
„Also, woher kommt das Blut?“
Sie ließ mich los, legte sich auf den Rücken, starrte an die Decke. Und dann begann sie, ihre Story zu erzählen:

„Ich fuhr mit den Bus in den Prenzlauer Berg. Ich saß noch nie in einer Bar am Prenzl und dachte: Heut fährst du dort hin und reißt einen Typen auf. Ich wollte jemanden verletzen, ich wollte den größten Aufreißer verletzen. Ich setzte mich in so eine Bar voller Hipster, saß fünf Minuten, trank einen Cuba Libre… und da sprach er mich gleich an: Kurze, gegelte Haare, braune Lederjacke und blaue Augen, die durch dich hindurchstrahlen. Ein Typ, der abends aus dem Haus geht um mit einer Frau im Arm heim zu kommen.
Er fragte: ‚Was suchst du hier?‘
‚Was meinst du?‘
‚Als Frau allein in einer Bar, Samstagnacht. Du suchst etwas.‘
‚Die Frage kann ich zurückgeben.‘
‚Liebe.‘
‚Was?‘
‚Ich suche bedingungslose Liebe‘, sagte er lächelnd. ‚Was wir alle suchen. Auch du.‘
Und ich hatte, was ich wollte. Verstehst du?
Er erzählte von seiner Ex-Freundin, dass er sie über alles liebt, dass er nie wieder eine Frau so lieben kann, weil er Angst hat, noch einmal zurückgewiesen zu werden.
Er war so ehrlich, weißt du? Ich glaubte ihm, ich war hin und weg, unter anderen Umständen hätte ich mich in ihn verliebt. Aber dann passierte etwas: Ich machte einen Schritt zurück. Es war wie ein Geistesblitz, eine Einsicht.  Mir wurde klar: Der Typ ist ein Wolf. Ihr seid Wölfe. Ihr benutzt uns. Und wir sind so dumm und lassen uns von euch benutzen.
Ich ging mit ihm nach Hause. Große Wohnung, verdient womöglich ein Vermögen… Ich wollte ihm wehtun. Wir küssten uns, es fühlte sich gut an, so süß, weil ich wusste dass er dachte: Er hat mich. Und ich wusste es besser.
Wir gingen ins Bett, ich küsste ihn, er fing an sich auszuziehen und ich sagte, ich müsse auf Toilette.
Ich ging in die Küche und suchte das Messer mit der schärfsten Klinge.

Ich hab es nicht ertragen, verstehst du? Er musste sterben, für die ganzen Wölfe. Er ist stark, offenbart sich mir, damit ich ihn liebe und dann lässt er mich fallen. Er sucht das höchste an Intimität, aber es ist in Wirklichkeit nur Taktik. Er ist so ehrlich, der Wolf, aufrichtig und ehrlich, er macht dich damit schwach, er sagt: Er fühlt wie du, er sieht die Welt wie du, er hat dieselben Sehnsüchte wie du und du fängst an ihm zu vertrauen, lässt dich in seine Arme fallen und dann betrügt er dich, er verlässt dich, saugt dich aus, als wäre er innerlich ausgetrocknet und deine Liebe ist das Wasser, dass ihn vor der Dürre bewahrt.

Ich konnte es nicht länger ertragen.

Ich kam zurück ins Schlafzimmer, das Messer in der Rechten, setzte mich auf ihn. Gott, hab ich mich dämlich angestellt, er sah das Messer sofort. Und ich hatte keinen Plan, ich wusste nicht mal, ob ich es gebracht hätte, ihn zu erstechen. Er streckte den Arm aus, griff die Klinge.
‚Du willst mich umbringen?‘
Ich hielt das Messer fest, ohne etwas zu sagen.
‚Was bringt dir das? Erlösung?‘
Es schnitt ihm die Hand auf, Blut floss…
Ich ließ los. Schmiss das Messer weg. Und dann sprang ich auf und rannte aus der Wohnung.
Ich wünschte, ich hätte ihn umgebracht…“

Anna Lucia schaute mir tief in die Augen, als sie auserzählte.
„Holy Fuck“, sagte ich.
„Es tut mir leid. Es tut mir alles leid. Sag, dass du sie nicht geliebt hast.“
„Ich hab sie nicht geliebt.“
„Bitte, bleib bei mir. Ich hab eine Schraube locker, ja, aber ich liebe dich so sehr.“

Die Frau war völlig durch.
„Ja“, sagte ich. „Schlaf, ich bleibe bei dir.“
Sie weinte. Schon wieder. Klammerte sich an mich, packte meine Rippen, kniff mit den Fingernägeln hinein.
„Schlaf“, sagte ich.
„Kann nicht schlafen.“
„Willst du eine Tablette?“
„Ja.“

Ich holte eine Vivinox aus meinem Nachtschrank, gab ihr dazu etwas Wasser.
Sobald Anna Lucia in meinen Armen eingeschlafen war, stieß ich sie zur Seite… sie war wie tot. Ich packte meine Sachen, das Nötigste zumindest, und sah zu, dass ich Land gewann. Diese verrückte Schlampe würde mich eines Tages töten, wenn ich bei ihr blieb.

Mit einer Reisetasche stieg ich in die nächste Bahn nach Magdeburg.

Mehr Geschichten: Auf der Facebook-Seite von Dominik Grittner

 

 


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