Die demokratische WRACKtion
Ein Stadtrat mit frischen Ideen, die den Hass aus den eigenen Reihen auf sich ziehen- „Die Fraktion“ zeigt in komischer Manier, wie aus einem Lüftchen ein unerträglicher Sturm entsteht. Seine Uraufführung fand am 25. Januar 2013 im Schauspielhaus Magdeburg statt.
Text: Laura Kapitza | Fotos: Nilz Böhme
Vor 80 Jahren, genau am 30. Januar 1933, kam die NSDAP an die Macht mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Diesen Jahrestag veranlasste das Theater Magdeburg während eines Workshops im Sommer 2012 die Thematik aufzugreifen und sich mit ihr künstlerisch auseinanderzusetzen.
Ein Ergebnis dieses Seminars ist das Theaterstück Die Fraktion von Kai Ivo Baulitz. Dabei richtet er den Blick weniger auf totalitäre Systeme, sondern auf die heutige Demokratie mit ihren Widersprüchen und Tücken. Der Blick ist auf eine nicht nennenswerte Stadtratsfraktion gerichtet. Neuer Wind kommt in das alte Politbüro durch die junge Controllerin Elena Polyaka (Katharina Schlothauer) und dem Politikneuling Martin Freytag (Peter Weiss). Dieser beruft als erste Amtshandlung eine „Sondersitzung des Fraktionsausschusses Gedenkstätten“, bei der eine langandauernde Verhandlung zu erwarten ist.
Damit verspielt sich der „Neue“ die Sympathiepunkte seiner Kollegenschaft, allen voran dem Fraktionschef Jens Ziegler (Axel Strothmann). Anlass dafür ist sein Antrag auf eine Stele die die Lebenden statt den Toten mahnen soll, ein Platz, wo sich Menschen treffen und sich über ihre Existenz, ihr Dasein bewusst werden können. Das stößt bei den älteren Fraktionsherrschaften auf Ablehnung – nicht nur, weil die Stadt fast vor Denkmälern platzt, sondern weil der Gedenkpfeiler auf den Platz errichtet werden soll, der für das neue City-Center bestimmt ist.
Eigentlich dürfte dem Antrag des jungen Politikers kurzer Prozess gemacht und dem kommerziellen Centermal den Vorrang vor der historisch-mahnende Stele gewährt werden, jedoch zwingt der Hausmeister die Parteien länger zusammenzusitzen, da er die Türen mit Getränkekästen blockiert. Somit verwandelt sich aus der marginalen Verhandlung ein verbaler Ausbruch der ungeschönten Wahrheit.
Die Vorurteile und Klischees vieler Bürger über die Politik greift Kai Ivo Baulitz auf und formt daraus – mit dem Blick auf die historische Vergangenheit – eine Story über Hoffnung, Enthusiasmus, Enttäuschung und Resignation. Gefüllt mit satirischen Pointen werden die beiden Medaillenseiten des demokratischen Konstrukts durch das beeindruckende Schauspielensemble unverfälscht dargestellt.
Auf der einen Seite befindet sich die jugendliche Hoffnung, mit kraftvollem Tatendrang und Idealismus. Im Kontrast dazu die alte Verdrossenheit, die Enttäuschung über die unerfüllten Wünsche, die das Fraktionsurgestein Renate „Schildkröte“ Bach (Gisela Hess) und der um Heim und Familie bangende Öko-Mitläufer Robert Faerber (Sebastian Reck) verkörpern. Die einen sehen die Vielfalt der Möglichkeiten vor sich, die anderen sehen die verschenkte Energie und die traurige Erkenntnis, nichts in großem Maße bewegen zu können – nichts als vergeudete Kraft.
Dieser Zwiespalt findet auf besondere Weise Ausdruck im Bühnenbild: neben drei einfachen Holzbänken, die eher an ehemalige Schultage erinnern, fallen die fünf riesigen bewegbaren Wände auf, die mit Bildern der Protagonisten beklebt sind. Diese Wahlplakate zeigen die Figuren in selbstbewusster Haltung mit sympathischem Lächeln. Hinter den Wänden tauchen die jeweils portraitierten Figuren hervor und mit ihnen das gegenteilige Bild: Das Alphatier der Fraktion, das über den Sprachfehler der lokalen Radioreporterin spottet, und die karrierebesessene Überfliegerin, die ohne Handy nicht überlebensfähig wäre.
Die Handlung ist von Anfang bis Ende eher vorhersehbar und lässt unerwartete Überraschungen vermissen, wodurch das kritische Nachdenken nach der Vorstellung auf der Strecke bleibt. Jedoch punktet das Stück mit seiner freischnäuzigen Darstellung und seinen witzigen Parodien, die beim gemischten Publikum mehr als gut ankamen. Somit empfehlenswert für diejenigen, deren Lachmuskeln wieder geölt werden müssen.