Industriebrachen am Ende des Regenbogens

Ibug 2011 – Was passiert eigentlich mit maroden Fabriken, wenn sie nicht mehr benötigt werden? Einfach platt machen? Auf keinen Fall, jedenfalls nicht im westsächsischen Meerane. Industriebrachen, wie es sie in vielen deutschen Städten gibt, fristen oft ein trostloses Dasein. Dem wollte der Graffiti-Künstler Tasso in seiner Heimatstadt ein Ende setzen.

IbugText: Christian Geipel, Fotos: Christian Geipel, Juliane Ahrens

Meerane| Vor einigen Jahren entwickelte Tasso das Konzept der Ibug (steht für Industriebrachenumgestaltung), schließlich bieten alte Fabrikhallen massenhaft Platz zum Sprayen. Da er allerdings keine Lust hatte all die Freiflächen selbst zu verzieren, lud er sich ein paar Freunde ein und ging mit ihnen an die Arbeit.

Handelte es sich zu Beginn noch meist um Graffiti, bietet die Ibug 2011 heute von Installationen über Videokunst bis hin zu Vorträgen und Modenschauen ein breites Spektrum an Urban Art. In diesem Jahr öffnete die Ibug zum nunmehr sechsten Mal für drei Tage ihre Tore für den Publikumsverkehr. Als Brache diente diesmal das Gelände der VEB Textilwerke Palla.

Der erste Anblick des Geländes würde sich von dem anderer Brachen kaum unterscheiden, wäre da nicht ein 20 Meter hohes Porträt an die Fassade gebannt. Das ist einerseits imponierend und andererseits auch zweckdienlich, denn so verfehlt kein Besucher in Spe sein Ziel. Die Innereien des Gebäudes gestalten sich wie ein Labyrinth aus Form und Farbe. In jedem Stockwerk und hinter jeder Ecke kommen neue Werke zum Vorschein. Der Müll, der nach der Schließung des Werkes zurückgelassen wurde, liegt entweder immer noch umher oder wurde in eine der zahlreichen Installationen integriert.

Ibug 2011Leere Stoffrollen wurden von Begründer Tasso beispielsweise in einen dreidimensionalen, raumfüllenden Schriftzug seines eigenen Namens umfunktioniert. In einem unbegehbaren Teil der Fabrik mit eingestürztem Dach kämpfen eine gelbe und eine lila Seite um die Vormachtstellung auf dem Schlachtfeld. Alle Künstler wurden aufgerufen einen Teil dieser Schlacht zu gestalten. Beim Gang durch Hallen und Büroräume ist Eile also fehl am Platz, zu viel gibt es zu entdecken.

„Ich gehe jetzt mittlerweile zum fünften Mal durch den Komplex und ich finde immer wieder neue interessante Sachen, die mir bei vorangegangen Führungen verborgen geblieben sind.“, meint Michael Lippold – seines Zeichens PR-Beauftragter der Ibug – während er uns durch die Gebäude führt. „Die Künstler haben sich echt ins Zeug gelegt und sich teilweise bis ins Detail ausgelassen, daher ist es auch schön zu sehen, dass die Veranstaltung beim Publikum eine so gute Resonanz findet.“

Bis dahin war noch gar nicht abzusehen wie groß der Anklang sein würde. Insgesamt fanden über 3000 Besucher den Weg nach Meerane. Das sind 1000 Besucher mehr als im letzen Jahr und damit neuer Rekord! An die 150 Künstler aus Deutschland, Europa und der Welt halfen innerhalb einer Woche aus der Palla-Industriebrache ein Gesamtkunstwerk zu machen.

Dabei war und ist es den Verantwortlichen wichtig zu zeigen, dass diese Art von Kunst nicht nur in Großstädten erfolgreich präsentiert werden kann. Doch der Weg zum Erfolg war in diesem Jahr ein eher steiniger. Nach Förderabsagen zweier Stiftungen war man auf andere Hilfe angewiesen. Ein Spendenaufruf spülte insgesamt 3.800 Euro in die Kassen. So konnte das Projekt verwirklicht werden. Auch von uns aus ein Dank an die Spender und einen Rüffel für die verantwortlichen Kulturstiftungen – Böse Kulturstiftungen!

Ibug 2011Naja, die Ibug konnte glücklicherweise stattfinden und das große Publikum trug, wie bereits erwähnt, seinen Teil zum Erfolg bei. Wirft man einen Blick in Selbiges, so fällt auf, dass es sich dabei um Menschen aller Altersklassen handelt.

Dass junge Menschen ein Interesse an Graffiti, Street Art etc. haben, ist nicht allzu ungewöhnlich. Doch auch bei älteren Menschen (damit meine ich die Generation 60+ …nicht, dass sich noch jemand auf den Schlips getreten fühlt) von denen man eher ein Statement à la „Diese Schmierfinken gehören doch eingesperrt“ erwartet, fand die Ibug anklang.

Einige wollen einfach noch einmal durch die Hallen wandeln, in denen sie einst täglich acht Stunden ihres Lebens verbrachten. Andere wollen die Ruine, welche dunkel über ihrer Nachbarschaft thront einfach mal von Innen sehen. Letztlich sind aber alle im Staunen verbunden.

Die Tatsache, dass die meisten Menschen in einer schönen und sauberen Nachbarschaft leben wollen, dezimiert natürlich die Zahl der zur Verfügung stehenden Brachen. Wer diese Veranstaltung also mag, könnte sich aufgrund des möglichen Platzmangels besorgt zeigen. Doch da gibt es Entwarnung. Die Crew versichert, dass es auch für die nächsten Jahre Industriebrachen zum umgestalten gibt.

Wir können uns also nächsten September wieder auf eine Brache am Ende des Regenbogens freuen.

 


 


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