Büchner zwischen Adelskritik und Germany`s Next Topmodel

Die Magdeburger Theatergruppe LUKAST präsentiert Georg Büchners Leonce und Lena im Geschwister-Scholl-Park. Eine Inszenierung, die das klassische Stück nutzt, um die moderne Welt zu karikieren.

SpielbetriebText: Olga Zudilin   Fotos: LUKAST

Magdeburg| Vier Männer und zwei Frauen sitzen mit gekrümmten Rücken und ausdruckslosen Minen auf einer Bank. Sie lassen die Beine baumeln. Es ist nicht schwer zu erkennen: sie sind von der Langeweile und Melancholie geplagt. Nachdem sie unzählige Male, in rhythmischen Bewegungen den Hampelmann trainiert, den Imperial March – besser bekannt als die Darth Vader-Melodie – gegrölt und sich gegenseitig genervt haben, beschließen sie schließlich Leonce und Lena zu spielen.

Die Theatertruppe LUKAST inszeniert ein klassisches Stück im Geschwister-Scholl-Park. Zwischen Bäumen, Hecken und verdutzten Spaziergängern katapultieren die sechs Darsteller die Themen aus Leonce und Lena in die moderne Welt. Diese Aufgabe ist jedoch leichter gesagt, als getan. Denn Büchner parodiert in dem Stück, welches zwischen Lustspiel und Satire anzusiedeln ist, nicht nur das sinnentleerte und absurde Hofzeremoniell, sondern auch den Unterdückungsapparat des Adels.

Auf den ersten Blick hat diese Problematik nichts mit unserer modernen Welt zu tun. LUKAST schaffen es trotzdem, einen Bezug zu diesen in Zeiten der Demokratie scheinbar überholten Themen herzustellen und sie mit den Absurditäten des heutigen Lebens zu vermischen. Um zum Beispiel die Unterwürfigkeit der Bevölkerung und die Machtausübung des Adels aufzuzeigen, bezieht die Inszenierung auch das Publikum mit ein. So verteilen die Schauspieler am Anfang kleine bunte Fähnchen und Tamburine an die Zuschauer, die gebeten werden, die Fähnchen zu schwenken, wenn König Peter erscheint. Was als Anweisung beginnt, endet schließlich in einem Befehl. So schreit Leonce am Ende des Stücks immer wieder „FÄHNCHEN“ ins Publikum und die Zuschauer folgen kurzerhand und gedankenlos dem Kommando des Prinzen. Und auch als Leonce einer Frau aus dem Publikum, die zuvor zum Wärter benannt wurde, befiehlt, alle Zuschauer in einem imaginären Gefängnis einzusperren, fügt sich diese der Macht des „Prinzen“.

LUKAST präsentieren die Vorstellung als Spiel im Spiel. Die Schauspieler verkörpern moderne Menschen, die versuchen, sich mit Hilfe von zeitgenössischen Phänomenen und unterschiedlichen Spielen vor der gähnenden Langeweile zu retten. Obwohl sie sich entscheiden, Leonce und Lena zu spielen und die Rollen sogar vor dem Publikum aufgeteilt werden, fallen sie immer wieder in ihre ursprünglichen Rollen zurück. Doch nicht nur das Verlassen der Rollen betont das Spiel im Spiel. Valerio wird beispielsweise von einer Frau (Maria Lehmann) und die Gouvernante von einem Mann (Max Adler) gespielt und der Protagonist (Max Diegel), dem die Rolle des Prinzen zugeordnet wurde, schafft es nicht, sich in seiner Rolle als Leonce zu inszenieren und sich richtig zu artikulieren.

Frankenstein Das Spiel Leonce und Lena wird zusätzlich von modernen und jedermann bekannten Phänomenen gesprengt, die gleichzeitig ins Lächerliche gezogen werden. Indem die Schauspieler beispielsweise Szenen aus berühmten Fernsehformaten wie Neun-Live-Quiz-Shows oder Germany`s Next Topmodel nachspielen, werden diese Fernsehprogramme verlacht. Und auch der Adel wird mit seinen Rangmerkmalen auf´s Korn genommen. König Peter, der von zwei Schauspielern (Richard Dobbert und Dennis Werth) gemimt wird, trägt an Stelle eines Umhangs und eines Schwertes, einen Bademantel mit Boxershorts und hält eine Klobürste in der Hand. Spätestens wenn er dann über Büsche springt, auf der Suche nach Leonce durch den Park rennt und sich auf dem Rasen wälzt, ist die Illusion von einem ehrwürdigen und imposanten König dahin. Und wenn Leonce, Lena, Valerio und die Gouvernante in einem imaginären Auto fahren und den Schlager Im Wagen vor mir zum Besten geben oder mit fiktiven Trompeten zum gefühlten hundertsten Mal den Imperial March nachspielen, ist die Übertragung des klassischen Stoffes in die aktuelle Zeit perfekt. Die von Büchner parodierten Riten des Adels werden bei der Aufführung mit Hilfe von aktuellen Möglichkeiten der Selbstinszenierung repräsentiert.

LUKAST verbindet auf diese Weise die Handlung von Leonce und Lena mit einer Welt, die aus Langeweile, Melancholie und Substanzlosigkeit besteht und in der die Protagonisten an der eigenen inneren Leere leiden. Auch das Spiel Leonce und Lena kann die Protagonisten nicht vor der seelischen Einöde bewahren. Obwohl Leonce Lena nach der Hochzeit verspricht: „Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht“, bricht am Ende des Spiels wieder das Chaos aus. Zuletzt werden die Protagonisten wieder von der gähnenden Langeweile geplagt, der sie nichts entgegenzusetzen haben.

Weitere Termine: 21. und 22. Juni, 18.30 Uhr, Geschwister-Scholl-Park, Eintritt frei.



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