Ein Prinzessinnenzimmer im Altstadt-Krankenhaus
Kulturfestival Romantik 2.0 lässt vom 1. bis zum 24. Juni ehemalige Klinik mit einer Kunstausstellung, Theater, Live-Musik und Literatur erblühen
Text: Olga Zudilin Fotos: Robert Meinel
Magdeburg| Auf den Fluren des Altstadt-Krankenhauses in Magdeburg geht es nicht nur chaotisch, sondern auch kunterbunt zu: neben Sprühdosen, Pinseln und Klebepistolen liegen auf dem Boden auch getrocknete Äste, Blumen sowie ein Speichenrad, Handtücher und sogar eine rausgerissene Tür herum. Trotz des ganzen Durcheinanders herrscht eine entspannte und schon fast familiäre Atmosphäre.
Der verlassenen Klinik wurde unter der Leitung des KulturAnker e.V. in Form des Kulturfestivals Romantik 2.0 wieder neues Leben eingehaucht. Insgesamt 238 Künstlerinnen und Künstler aus 11 Nationen interpretieren das Motto der Ausstellung und gestalten die 250 Räume des Krankenhauses gemäß ihrer Deutung von Romantik 2.0. Die teilnehmenden Künstler wurden aus über 450 Bewerbern ausgewählt. Zwischen dem 1. und dem 24. Juni ist die Schau für Kunstliebhaber geöffnet.
In fast jedem Zimmer sind junge Menschen mit Kleben, Schneiden und Bauen beschäftigt. In einem Zimmer hantieren mehrere junge Männer freudig an einem Kabelsalat, der von der Decke runterhängt. Aus einer iPod Docking-Station ertönt Indie-Rock, der immer wieder von dem leisen Geräusch eines Akkuschraubers unterbrochen wird. „Das Kulturfestival soll eine Antwort auf die Digitalisierung der heutigen Welt bieten“, sagt Karsten Steinmetz, der Vorsitzende des KulturAnker e.V. Mit Malerei, plastischer Kunst und Fotografie wollen die teilnehmenden Künstler bei den Besuchern Emotionen herauskitzeln.
Unter den teilnehmenden Künstlern befinden sich auch die 22-jährige Susann Frömmer und die 24-jährige Susan Penack. Die zwei Journalistik-Studentinnen gestalten einen ehemaligen Waschraum, der sich im einstigen Operationsbereich des Krankenhauses befindet, zu einem Prinzessinnenzimmer um. Eine Woche hatten sie für die Umgestaltung Zeit. Und in der Tat erinnert der Raum nun an die Gemächer einer Prinzessin, wie sie sich ein 8-jähriges Mädchen nicht hätte besser erträumen lassen können. Die weißen, sterilen Fliesen des Waschraumes haben die Studentinnen mit rosafarbener Tapete beklebt. Die Wasserhähne, die aus den Wänden ragen, wurden liebevoll mit beigefarbenen Ballettschläppchen umwickelt und der Fernseher der Prinzessin mit funkelnden Strasssteinen beklebt.
Passend zu den Vornamen der Künstlerinnen heißt das Zimmer „Susi will…“. Die Wünsche von Susi, einem kleinen Mädchen, welches in ihrem Prinzessinnenzimmer sitzt und träumt, haben die Studentinnen durch eine blaue Gedankenblase in der Mitte des Zimmers versinnbildlicht. In der Blase befindet sich all das, was sich Susi so sehr wünscht. Und was will Susi? Natürlich den Traumprinzen, ein weißes Pferd und das perfekte Glück.
Was auf den ersten Blick kitschig erscheint, hat eine ernsthafte Aussage. „Mit dem Zimmer wollten wir zeigen, dass man sich die Sachen, die einen glücklich machen, nicht kaufen kann. Trotz der schönen Dinge, die das Mädchen umgeben, möchte es etwas anderes sein und vielleicht sogar in einer anderen Welt leben“, sagt Susann Frömmer.
Das Romantik-Festival besteht allerdings nicht nur aus der Kunstausstellung, sondern bietet auch weitere kulturelle Veranstaltungen. Das Festival verbindet in einer einzigartigen Form unterschiedlichste Kunstarten von nationalen und internationalen Künstlern und verwandelt das ehemalige Krankenhaus in einen Schmelztiegel aus Virtuosität, Emotionen und Leidenschaft. Während der Wochen werden unter anderem 50 Bands auftreten, 14 Theateraufführungen und acht französische Filme gezeigt. Außerdem können Interessierte jeden Sonntag den Trödelmarkt Flohmantic besuchen. „Die ganzen Programmpunkte sind inhaltlich miteinander verbunden. Mit den Veranstaltungen, die alle unter dem Motto Romantik stehen, wollen wir die Gäste in eine andere Welt versetzen“, sagt Steinmetz.
Dabei hat sich das 4.000 Quadratmeter große Altstadt-Krankenhaus mit seinen über 250 Zimmern als der perfekte Austragungsort herausgestellt. „Die ehemalige Klinik ist mit ihren weißen und kahlen Wänden nicht nur eine natürliche Galerie, sondern wegen ihrer Geschichte gleichzeitig auch ein Identifikationsort für Magdeburg. Das Krankenhaus bietet auch den Vorteil, dass es in der Innenstadt und damit zentral liegt“, sagt Steinmetz.
Es sind jedoch nicht nur die Größe und die Lage, sondern vielmehr die Atmosphäre und der paradoxe Charme, die die Klinik zu einem besonderen Ort machen. Mit seinen sieben, majestätisch wirkenden Gebäuden und den verwinkelten, leeren Fluren erinnert das Gebäude an eine alte Villa aus einer längst vergangenen Zeit. Die grünen, üppig wachsenden Pflanzen, die hohen Bäume und die von Feuchtigkeit und Schmutz angegriffenen Parkbänke im Innenhof machen die Illusion von einer ungestümen Traumwelt perfekt. Und während der Besucher das Gefühl bekommt, hier sei die Zeit stehen geblieben, bringen ihn die Schilder „Station A, B und C“, die Fliesen an den Wänden und die Neonleuchten an den Decken wieder in die moderne, durchorganisierte und technische Welt zurück. Der Mix aus Moderne und Vergangenheit, den das Krankenhaus ausstrahlt, spiegelt auch die Fragen des Festivals wider: Wie verbindet man menschliche Emotionen mit der neuzeitlichen und digitalen Welt? Wie verbindet man Romantik mit dem interaktiven und unpersönlichen 2.0-Dasein?