Den Schein vom Sein zu trennen
Faust, Tragödie zweiter Teil feierte Premiere im Magdeburger Schauspielhaus.
Text: Isabell Redelstorff, Fotos: Nilz Boehme
Magdeburg| Eingestaubt steht er im Schrank und bei jedem Blick, der manchmal auf ihn fällt, läuft ein kühler Schauer den Rücken herunter. Nicht gehasst aber gefürchtet von den Meisten. Mit einer seltsam, eigenen Magie bleibt er dort stehen – fest im Regal, neben seinem Vorgänger, der im Vergleich eher eine zauberhafte Anziehungskraft auslöste.
Doch mutig und mit geballter Faust wird das gleichnamige Werk hervorgenommen und plötzlich steht – ganz unbemerkt die Frage im Raum: Wie könne dies auf einer Bühne wirken? Ein Buch — weit mehr noch – Goethes Lebenswerk!
Und auch dann- wer wagt sich an so etwas heran, das nicht nur Spiel, sondern auch noch verstanden werden will – Faust. Tragödie zweiter Teil!
Das Theater Magdeburg – im Besonderen Regisseur Martin Nimz verlor die Furcht und stellte sich ganz pragmatisch die Frage: Was kann Goethes Faust uns heute noch sagen? Oder ist es vielmehr so, dass vielleicht gerade jetzt nach ihm verlangt werden sollte? Unabhängig von dem, was wir erwarten mögen, gilt es zunächst unseerm Köpfchen den anspruchsvollen Stoff in möglichst einfühlsamer Weise ohne Zähneknirschen zu erläutern.
In fünf Akten wird die Geschichte des Fausts mit Begierde, Macht und Erfolgssucht weiter gesponnen – die Darstellung einer Gesellschaft, die nicht nur den Respekt vor dem Natürlichen verliert, sondern sie darüber hinaus zu zerstören versucht. Faust ist hierbei nur eine Auswahl – der personifizierte Machtgedanke, der nicht in Interaktion treten kann und will, sondern den reinen Glauben an Besitz inne hat.
Beginnend leise – hin zu leidenschaftlicher Lust zu Helena und steigernd in der Zerstörung von Mensch und Natur.
Nicht als Faust, sondern als Schauspieler, der ebenfalls zu verstehen versucht, sitzt Jonas Hien zunächst am Bühnenrand. Nur dann bricht er hinaus, aber nicht störend, sondern fast still schlüpft er hinein und ist die Hauptfigur. Die Bühne ist leer aber nicht karg – mit musikalischem Einfallsreichtum und Projektionsgelüsten, die zwischen kreischend und zaghaft wechseln, verliert sich der Zuschauer fast in einem Strudel von Tönen und Farben.
Regisseur Nimz nimmt uns dabei mit auf eine Reise, zum Beispiel zur klassischen Walpurgisnacht, in welcher der erste künstlich geschaffene Mensch Homunkulus zu erfahren versucht, wie er, der Körperlose ein richtiger Mensch werden kann. Während Mephisto sich dem erotischen Liebesspiel eher hinzugeben vermag, ist Faust mit seinen Gedanken nur bei der schönen Helena. Nimz versteht es in verstörend schriller Form das Fest in eine wilde Tanzmanier mit zu erwartendem Drogenrausch zu kleiden, das in einer Mischung von pinkem Farbengemisch und Schaumflut alle Sinne fordert. Und dann die schöne Helena – die Liebe zwischen Helena und Faust.
Aber nein, wir erkennen hier keine zarte kleine Bande, die sich zaghaft aufeinander zubewegt. Faust ist liebestrunken, leidenschaftlich, selbstzerstörerisch – Nimz verlangt die Körperlichkeit, während der Zuschauer schon beinahe die Augen schließen möchte, aus Scham diesem liebestollen Manne zu zusehen. Die Flucht nach Arkadien soll ihr beider Paradies werden.
Genau dann zeigt sich – das Paradies entsteht in unseren Gedanken in Abhängigkeit vom Gefühl. Auf einem riesigen Holzbrett sitzend mit einem übergroßen Lächeln auf den Lippen ist das nur kurzweilig andauernde Glück minimalistisch auf das Wesentliche beschränkt. Bis der Sohn als zweiter Ikarus wegen seines Übermuts sein Leben lässt. Schreiend, ohne Annahme seines Verlustes von Sohn und geliebter Helena endet der dritte Akt.
Und nun?
Ein kraftloser Faust, eine durchtriebener Mephisto und ein verzweifelter Kaiser. Ein politisches Ringelreihen mit Witz in einer zynisch-cleveren Darstellung, nicht zu letzt wegen einer großartigen Iris Albrecht, welche mit sanfter Raffinesse den Bogen zwischen weiblicher Intensität und dominierender Bühnenpräsenz in mitten aller männlichen Darsteller schlägt. Faust besiegt die Natur und fordert dabei unzählige Menschenleben. Darsteller Jonas Hien spielt dabei nicht mehr groß, sondern müde vom Fanatismus, wenn der Blick nur starr, die Stimme dünn und der Körper matt. Man glaubt ihm!
Die Sorge in lasziver Gestalt versucht den letzten Funken seiner Einsicht, seines Menschseins zu erreichen- und scheitert kläglich. Auch hier spielt die Verführung, die Bedingtheit von menschlichem Gelüsten eine stille Nebenrolle. Er jedoch ist nicht mehr befähigt zur Reflektion – er ist blind.
Sein Lebenswerk beenden wollend, gibt er sich dem Rausch seiner Vision hin, genießt seinen höchsten Augenblick und stirbt. Doch seine Seele wird gerettet und Mephisto um sein Wettsubjekt betrogen.
Zwischen Obszönitäten und Wahrer Liebeshoffnung, in mitten von Stille und lautem Schrei, von Farbenspiel zu einem Einheitsgrau ist es Regisseur Martin Nimz gelungen ein impulsives Schauspiel der Moderne zu inszinieren, das jede Furcht vor Goethes zweitem Faust verpuffen lässt.
Es ist aber nicht nur die Projektion von fantastischen Bildern, es ist der Zusatz einer guten Besetzung, während Axel Strothmann gekonnt die Waage zwischen bösartiger Absicht und erotischem Anreiz hält, verzaubert Heide Kalisch als Homunkulus nicht nur mit spielerischer Umsetzung, sondern zusätzlich mit einer anmutigen Körperspannung. Und die Vielfältigkeit mit der Alexander Absenger die Bühne stürmt, erlaubt ein raunendes Staunen.
Jetzt noch am Ende die Frage: Und Faust II verstanden? Mit Sicherheit nicht!
Aber doch mit Freude etwas näher herangerückt.