Die Entdeckung des jugendlichen Leichtsinns

Etwas viel Gehampel und Geschreie, aber die Erkenntnis: Wolfgang Herrndorfs Sprachwitz funktioniert auch auf der Bühne. Die Adaption seines Romans Tschick feierte am 12. Oktober Premiere in Magdeburgs Schauspielhaus.

SpielbetriebText: Daniel Jakubowski Fotos: Nilz Böhme

Magdeburg| Andrej Tschichatschow und Maik Klingenberg sind unterwegs, in einem geklauten Lada von Berlin aus südwärts durch die Republik. Beide sind 14 Jahre alt und in der achten Klasse. Andrej, genannt Tschick, ist neu in Maiks Klasse, kommt aus Russland, ist eher verschwiegen und rühmt sich daher einigen Außenseitertums. Ähnlich geht es Maik, der sich vor dem gemeinsamen Road Trip für den größten Langweiler unter der Sonne hielt. Er hat keine Freunde und wurde wie Tschick, so hat er sich ausgerechnet, daher auch nicht zur Geburtstagsparty seines Schwarms Tatjana eingeladen – und das, obwohl er als Geschenk in wochenlanger Arbeit eine detailgetreue Bleistiftzeichnung der von ihr verehrten Sängerin Beyonce gezeichnet hat. Dank Tschick lässt Maik das nun hinter sich und die beiden tauschen die Tristesse der Sommerferien mit einem Abenteuer, das sie durch Wald und Wiesen führt, auf eine Müllkippe, auf der sie die ebenfalls von zu Hause ausgerissene Isa kennenlernen, in ein verlassenes Dorf, in dem der Luftgewehrschütze und Kriegsveteran Horst Fricke wohnt, dann einen Abhang hinunter, bei dem sich der Lada mehrfach überschlägt und schließlich in einen Unfall mit einem albanischen Schweinetransporter.

Der Pool, in den Maiks alkoholkranke Mutter am Ende der Geschichte die Möbel der Klingenbergs wirft, dient als Grundkulisse. In Richtung Publikum geöffnet, stehen einige Möbelstücke und Requisiten von Anfang an darin, an der linken Seite ein Sprungbrett, umfasst von einem breiten Rand, der in vielen Szenen rundherum bespielt wird. Die Größe der Kulisse lässt an einen Symbolgehalt des Pools denken, etwa für die Sommerferien, für Freiheit und Freizeit, in der sich Maik wiederfindet, diese aber nicht nutzen kann und will. Doch letztlich bleiben in Heike Vollmers Ausstattungskonzeption einige Fragen zurück: Wozu dienen die Kostüme? Maik trägt silberne Cowboystiefel und eine futuristisch anmutende Wasserspritzpistole in einem Halfter, Tschick Jogginghose und Fahrradhandschuhe – beide außerdem Helme mit Brille sowie Bein- bzw. Knieschoner. Diese trägt Isa ebenfalls zu ihrem Joggingoverall und einem überdimensionierten Schulterschutz vom American Football. Außerdem: Warum werden einige Konversationen schreiend geführt, etwa als Isa den beiden Jungs erklärt, wie man mit einem Schlauch Benzin aus einem Tank klaut? All das dient mutmaßlich der Darstellung einer kindlich-jugendlichen Welt, unbedarft, verspielt, mit wenig ausgeprägtem Sinn für das wirkliche Leben. Was Herrndorf in diesem Zusammenhang jedoch auf so erstaunliche Weise zu verhindern weiß, zieht sich durch Dominik Günthers gesamte Inszenierung: es ist albern.

FrankensteinDas ist gleichzeitig die gute Nachricht, denn das Lachen kommt in Magdeburgs Tschick wahrlich nicht zu kurz. Zwar sind es vorrangig die Dialoge und abstrusen Situationen aus der Herrndorf’schen Feder, die drei Darsteller setzen den Humor in vielen Szenen jedoch originell um. Lena Sophie Vix zeigt dabei das größte Wandlungstalent, wenn sie abwechselnd die Karikatur einer singenden Beyonce, ihre eigentliche Rolle der Isa oder den unüberbietbar schrulligen Horst Fricke spielt, der die beiden Jungs zunächst mit einem Luftgewehr beschießt und dann zu einer Limo und seinen Kriegsveteranengeschichten einlädt. Raimund Widra zeigt zudem ein gutes Gespür für den Wechsel zwischen Ernst und Selbstironie von Tschick, mit eingestreutem russischen Akzent und staubtrockenem Humor. Mit Michael Ruchter als Maik liefert er sich absurde Wortgefechte, etwa um den vermeintlichen Ort Walachei, der für Tschick real existierend und für Maik ein Synonym für „irgendwo in der Wildnis“ ist. Dann allerdings immer wieder: Epik.

Eine Road Novel auf der Bühne muss ohne die vielen Landschaftswechsel und die Bewegung auskommen. Vieles ist in der szenischen Fassung Robert Koall daher narrativ gehalten und wird aus der Perspektive von Maik wiedergegeben. Ruchter zeigt dabei viel Engagement, verblasst aber durch die vielen Erzählanteile, die durch die eingestreuten Szenen und Dialoge unterbrochen, aber zu Versatzstücken degradiert werden.

Letztlich gibt sich die Magdeburger Tschick-Inszenierung als Publikumsliebling. Regisseur Dominik Günther karikiert eine Jugendlichenwelt, indem er die Ideen der Protagonisten zu Bildern werden lässt. Das Resultat ist ein Videospiel in der Wirklichkeit, das hinter jeder Ecke des Plots eine witzige Wendung versteckt. Und gleichzeitig berührt die Geschichte der beiden 14-jährigen, die in ihrem Glück und ihrer Naivität so viel ehrlicher zu sein schein als die vermeintliche Realität von Maiks reichem Vater, seiner alkoholkranken Mutter und seinen Mitschülern, die sich mehr um das Dazugehören als um echte Freundschaft kümmern.



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