Dan Simmons – Flashback

„Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann“, sagte Hermann Hesse. Was würde passiert, wenn wir ständigen Zugang zu diesem Paradies hätten? In Flashback ist dies der Grund, warum die Welt vor dem Abgrund steht.

Text: Dominik Grittner   Fotos: Heyne Verlag

Magdeburg| Es kommt ja nun öfter vor, dass Schriftsteller die alte Idee einer Kurzgeschichte oder Novelle aufgreifen und einen Roman daraus basteln. Die Gefahr dabei ist wohl immer, dass etwas Aufgeblasenes dabei herauskommt. Flashback erschien zunächst als Novelle im Band Lovedeath(1993). Eine amerikanische Kleinfamilie kann durch die Droge Flashback die schönsten Momente der Vergangenheit immer wieder durchleben. Die Flucht in die eigene Welt, die damit einhergehende Isolation und das Zerbrechen daran stehen hier im Mittelpunkt. Diese 60 Seiten hat Dan Simmons nun auf 600 Seiten aufgestockt und entwirft ein Amerika im Jahre 2036, in der Flashback die gesamte Welt regiert.

Der Polizist Nick Bottom wird mit einem prekären Fall betraut: Er soll den Mord an den Sohn eines Regierungsbeamten auflösen – ein Fall, der Nick langsam zu den Verschwörungen hinter den drohenden politischen Zerfall Amerikas führt. Mittlerweile stehen terroristische Akte auf der Tagesordnung, erst vor kurzem wurde ein Attentat auf den Papst verübt. Das Interesse der Bürger daran ist gering. Sie ziehen sich mit Flashback aus der Gesellschaft zurück. Auch Nick Bottom. Er versetzt sich in die Zeit, als seine Frau noch lebte und er eine Bindung zu seinem Sohn Val hatte. Dabei ist es eben jene Droge, die Nick davon abhält, wieder eine Beziehung zu seinem Sohn aufzubauen. „Seit wie vielen Jahren stand Val bei ihm jetzt schon ganz unten auf der Prioritätenliste? Viel tiefer, als seine Flashbacksucht.“ Val indes ist Mitglied einer Gang, die kleine Mädchen vergewaltigt – ganz egal, ob er deswegen im Gefängnis landet. Hauptsache er kann via Flashback diesen Moment immer wieder durchleben.

Was folgt ist ein recht politischer Sci-Fi-Thriller, der es zwar schafft, den Leser mit Action und Cliffhanger über die Seiten zu treiben, aber die eigentliche Handlung durch einen Rundumblick auf die zerfallende USA in den Hintergrund rückt. Das hat eine epische Romanlänge zur Folge, rechtfertigt sie aber nicht. Aufgeblasen? Ja. Auffällig oft lässt Simmons seinen Charakter liberal- und sozialismusfeindliche Gedanken äußern, auf die er gerne hätte verzichten können. Der Autor verpasst es, seine Stärke auszuspielen: Mit psychologischer Feinfühligkeit gebrochene Charaktere zu erschaffen und an ihnen den Weltuntergang darzustellen.

Zwar handelt es sich bei der Droge Flashback um eine originelle Idee, wäre bei geschickter Einbindung sogar in der Lage den Roman zu tragen, aber Simmons entwickelt lieber eine durchtriebene Gotham-City-Welt. Handelte es sich bei der gleichnamigen Novelle noch um den Ausschnitt eines düsteren Szenarios, in das Simmons den Leser hineinwarf, nimmt er im Roman den Leser an die Hand und leuchtet jede dunkle Ecke aus. Die Reihe der Dystopien, in denen Menschen in kleinen Waben leben und politische Entscheidungen von Mafiabossen gefällt werden, ist in Literatur und Film nahezu ausgeschöpft. Und es gibt weitaus anschaulichere und eindringlichere Entwürfe als die Simmons‘.

Dan Simmons: Flashback, übersetzt von Karl Jünger, 640 Seiten, Heyne-Verlag

 


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