Der Rechtsweg ist ausgeschlossen

Juli Zehs Sachbuchneuling ist ohne eine Grundkenntnis von Rechtsbegriffen nur schwer genießbar. Ihr Anliegen ist jedoch allgemeinverständlich und sollte jeden interessieren.

SpielbetriebText: Daniel Jakubowski Fotos: Körber-Stiftung, David Ausserhofer

Man benötigt schon eine Portion juristisches Interesse, um Juli Zehs neustes Sachbuch verdauen zu können. Denn worüber die mittlerweile promovierte Juristin in Die Diktatur der Demokraten schreibt, ist ein Thema, das ohne eine ganze Reihe von Definitionen und Zitaten aus Rechtsbeschlüssen nicht auskommt: Das Übergangsrecht. Schon diese Bezeichnung übersteigt den Bereich des Allgemeinwissens. Der Anschaulichkeit halber dreht sich die Untersuchung um die Beispielfälle Bosnien und Kosovo. Ziel Zehs ist es nach ihrer Aussage, „die wichtigsten Ergebnisse“ ihrer 2011 erschienen Dissertation zusammenzufassen und „für das nichtjuristische Publikum nachvollziehbar“ zu machen. Das mag ihr in Grundzügen gelungen sein, letztendlich ist es aber sinnvoll, das Buch eher als Fachbuch, denn als Sachbuch einzuordnen.

Untertitel und Vorhaben der Abhandlung referieren zunächst auf die Tagespolitik: Warum ohne Recht kein Staat zu machen ist. Die Autorin beschreibt die Vorgänge des state building in einem failed oder failing state. Dazu gibt es berühmte weltweite Beispiele wie etwa in Somalia, aber eben auch in Bosnien und seit 1999 im bis heute nur von etwa der Hälfte aller UN-Staaten anerkannten Kosovo. Ziel ist, Demokratie in diese Länder zu bringen, als eine Art Allheilmittel, als vorausgesetztes oberstes Begehr einer jeden Nation und vor allem deren Bürger. Doch genau die bleiben oft auf der Strecke, denn das so genannte Übergangsrecht, welches durch den High (Bosnien) bzw. Special Representative (Kosovo) ausgeübt wird, entbehrt jeglicher Anfechtung durch nationale oder internationale Gerichte – es genießt Immunität. In der Folge fehlt eine Kontrollinstanz, die den Demokratieaufbau überwacht: Die Demokratie soll und wird mit undemokratischen Mitteln aufgebaut.

FrankensteinDen entsprechenden Beweis für diese Zustände führt Juli Zeh, indem sie in einer stringenten Diskussion die rechtlichen Gegebenheiten des Übergangsrechts und somit das Fehlen von Kontrolle und Fassbarkeit unter irgendeine Instanz aufdeckt. Ihre Absicht ist dabei klar – Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Genauso klar ist sie sich über die realen politischen Verhältnisse: Eine Übergangsverwaltung würde ihre Argumentation wohl kaum anerkennen. „Sie würde sich vermutlich gar nicht auf einen juristischen Diskurs einlassen, sondern einfach mit politischen Sanktionen drohen.“ Dennoch hält sie es für wichtig, derartige Konzepte auf den Weg zu bringen, um langfristige Änderungen erwirken zu können.

Soweit das Prinzip und seine Schlussfolgerungen. Um dahin zu gelangen, muss der „nichtjuristische“ Leser allerdings durch einen Paragraphenwald, der zwar licht gestaltet ist, sich aber nahezu vom Anfang bis zum Ende des Buches zieht. Inhaltlich schafft die Autorin es, wie auch bereits in ihrem Sachbuchvorgänger Angriff auf die Freiheit mit Ilija Trojanow, Zusammenhänge aufzudecken und zu erklären, die der westlichen mediendominierten Welt weitgehend unbekannt sind. Im Gegensatz zu Angriff auf die Freiheit, und mag das auch der dort zugespitzteren Polemik geschuldet sein, schafft sie es jedoch nicht, den Leser für das Thema zu begeistern.

Dennoch: Das Buch sei jedem ans Herz gelegt, dem die Informationen in der Tagespresse nicht ausreichen, der Hintergründe erfahren möchte, die manchmal eben auch schwer verdaulich sind und nicht zuletzt auch allen, denen der Rechtstaat und die Menschenrechte am Herzen liegen. Erneut erinnert uns Juli Zeh an die Grundsätze, die eine westliche, tendenziell saturierte Gesellschaft zuweilen aus den Augen zu verlieren droht.



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