Kurzgeschichte: Überqualifiziert

Schnell, bunt, zynisch: So beschreibt der Autor Dominik Grittner seine Texte. Am Freitag erscheint seine erste eigene Buchveröffentlichung. Die Novelle „Wenn wir alle doch nur schweigen könnten“ feiert eine Release-Party samt Lesung im Café Central. Youngspeech veröffentlicht vorab online eine seiner Kurzgeschichten.

Wolfgang Voelz © dpaText: Dominik Grittner | Grafik: Yeti

Der Anzug von Geschäftsführer Röthelsberger nimmt keine Falten an, wenn er sich in seinem Chefsessel zurücklehnt und es sich bequem macht. Ein Anzug, aalglatt und souverän, genau wie Röthelsbergers Handschlag zur Begrüßung. Dieser Geschäftsführer ist ein junger Mann, der wusste, wo er hinwollte. Und dort ist er angekommen. Davor habe ich Respekt.

„Bei uns gehen oft Bewerbungen von Akademikern ein. Aber die wollen eine führende Position. Verkaufsleiter, Bereichsleiter und so weiter“, sagt Röthelsberger. Er sitzt an der anderen Seite seines Eichentisches, die Hände gefaltet. Jedes seiner Worte spricht er makellos aus, reines Hochdeutsch. Aalglatt, souverän. „Warum wollen Sie bei Ihren Kompetenzen normaler Mitarbeiter sein?“, fragt er.

Ja, warum will ich, frischer Master of Arts, einen Buchhalterjob in einem Elektromarkt?

„Ihre Kollegen hätten Kassierer oder Kosmetiker gelernt, ihre Vorgesetzte wäre gelernte Fleischerin. Warum sollten Sie sich da unterordnen?“

Was soll ich sagen? Ich bin nicht ganz sicher, warum ich mich hier bewerbe. Sagen wir so: Es ist, als wolle ich einen Roman schreiben. Das macht man ja nicht so einfach, aber man hat es immer vor. Und der Roman, den man schreibt, wäre nicht irgendeiner, sondern ein „Krieg und Frieden“, ein „Stolz und Vorurteil“. Ich befinde mich in folgender Situation: Ich sitze vor dem leeren Blatt Papier und kriege es nicht gebacken, den ersten Satz zu schreiben. Stets das Bild vor Augen, wie ein Germanistikstudent mit Hipster-Brille und skeptischem Blick im Buchhandel mein Werk aus dem Regal nimmt, den ersten Satz liest und das Buch naserümpfend wieder zurückstellt. Ach, nicht mal das: Ich habe das Bild vor Augen, wie der Verlagslektor mein Manuskript nach dem ersten Satz in der Luft zerreißt.

Also bleibt das Blatt Papier leer, ich suche Ablenkung. Setze mich vor den PC und zocke Diablo, WOW oder meinetwegen auch Tetris. Ja, dieser Bürojob wäre sozusagen mein Tetris. Meine Prokrastination…

Kann ich jetzt nur schlecht sagen.

„Ich habe während des Studiums als Buchhalter gejobbt“, sage ich schließlich. „Hat mir Spaß gemacht.“ Was für eine dämliche Antwort.

Aber was will er denn hören? Dass ich nicht bereit bin, für den Ernst? Dass ich noch ein bisschen herumdümpeln will? Muss man denn nach dem Studium genau wissen, wie der Rest seines Lebens aussehen soll? Muss es denn in diesem langweiligen Standardtraum enden? Haus mit Dachterrasse, Goldfischteich im Garten, Kinder in der Privatschule, Gärtner im Schlafzimmer meiner Frau? Ist ja das, was alle wollen. Und das lehnt man ja ab, kategorisch.

„Spaß?“, wiederholt Röthelsberger und schmunzelt.

Aber ich fürchte, man landet ja irgendwann doch auf dieser Bahn. Du suchst Alternativen, aber das bringt nichts, das lassen die Umstände nicht zu. Das wäre nicht souverän. Am Ende sitzt du doch wie Benjamin Braddock ganz hinten im Bus und schaust traurig den Gang hinunter, will sagen: Am Ende macht man es ja doch nicht anders.

„Nun gut“, sagt Röthelsberger, „vielleicht sollten Sie sich das noch mal genau überlegen.“

Ich schweige. Bringt ja nichts.

Röthelsberger steht auf, ich ziehe mit. Er gibt mir die Hand. Aalglatter Handschlag. „Wir werden uns bei Ihnen melden“, sagt er. Ein Satz zum Abschied. Ein ganz souveräner, versteht sich.

Dominik Grittner liest im Café Central am Freitag, 28. März, Beginn: 19.30 Uhr


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