Alle Jahre wieder Highfield

Autohupen, quietschende Reifen – laut dröhnt es aus dem offenen Fenster: „Highfield!!!“.

HighfieldText: Isabell Redelstorff   Fotos: Jörn Rohrberg

Großpösna| Bereits auf dem Parkplatz des Festivals wird klar: Das Wochenende verspricht vieles, aber mit Sicherheit keinen Moment der Ruhe. Noch zermürbt der Regen beim Tragen von Sack und Pack das eine oder andere Gemüt. Doch kaum am Zeltplatz angekommen, reißt der Himmel auf und schon hört man überall das Zischen der ersten Öffnungszeremonien des Dosenbiers.

Kaum ausgepackt und mit fremden Campingnachbarn erste Worte getauscht, verirren sich zwei Jungs neben unserem Grill und erklären mit schwäbischem Dialekt, dass sie vor einem stark tätowierten Mann flüchten. Ein weiterer stößt hinzu und bittet mich, mit ihm zu tanzen. Zwischen Steak, Kohle und Getränkepacken wage ich mich ein, zwei Schritte unter den Pavillon.

Doch viel Zeit bleibt nicht. Die ersten Bands spielen bereits. Ich verpasse nicht nur Kakkmaddafakka, sondern auch noch Blood Red Shoes. Diesen Umstand nehme ich als Motivationsschub und bewege mich mit einem Sprung aus dem buntgestreiften Campingstuhl. Auf dem 10 minütigen Marsch Richtung Festivalgelände treffe ich zahlreiche kontaktfreudige Menschen. Die einen musizieren und fragen, ob wir Lust haben auch ein Liedchen zu trällern, die anderen laden uns auf ein Bier ein und fragen, welchen Anreiseweg wir hatten.

Der erste Streifzug über den überschaubaren Festivalplatz in der Abendsonne lässt meine kribbelnde Vorfreude wachsen. Erste Feststellung: an Essen mangelt es uns nicht. Jeder feine Fast Food Gaumen wird bis ins unermessliche gekitzelt beim Anblick der Fressbuden. Panteon Rococo beginnen auf der Green Stage. Schnell noch ein Getränk für den Weg und schon stehe ich in der Menge. Tanzbare Wohlfühlmusik dringt in mein Ohr. Nein, ich kann nicht stehen bleiben. Ich habe Lust mich zu bewegen. Mit dieser Einstellung bin ich eindeutig nicht alleine. Die zappelnde Menge bewegt sich von rechts nach links und wieder zurück. Ruck, zuck, schon vorbei.

Aber es gibt kein Grund für Traurigkeit. Thees Uhlmann beginnt bereits auf der Blue Stage und diesen sympathischen Mann möchte ich nicht verpassen. „Tut mir einen Gefallen, ihr lieben Leute. Passt dieses Wochenende auf euch auf“, bittet der Musiker, während ich schwärmend vor der Bühne stehe. Neue Songs aber dennoch mit der alten Thees Manier, singt er in Jeans, Shirt und Gitarre. Währenddessen bauen die Donots ihr Bühnenbild auf.

Ich jedoch ziehe mich zunächst von den Bühnen zurück und denke auf der Wiese sitzend über einige Probleme beim Festivalbesuch nach. Schon im Vorfeld verschlingen Vorfreude, Planung und Einkauf viel Zeit. Selbst wenn noch eine Woche bis zur Anreise bewältigt werden muss, bleibt die Konzentration auf die lang ersehnten drei Tage im Festivalrausch gerichtet. Dann muss clever gepackt werde. Ein kompliziertes Verfahren, schließlich muss Zweckmäßigkeit mit guter Optik kombiniert werden. Die Reinlichkeit nicht zu vergessen. Ist nun die Schwierigkeit des Packens überstanden, gilt es einmal tief Luft zu holen. Warum? Selbstverständlich um eine mögliche Sozialphobie zu überwinden.

Highfield 2011

Das Einsiedlerdasein funktioniert auf einem Festival nicht. Körperkontakt bleibt unvermeidbar. Nach der Ankunft braucht es noch eine oder zwei Minuten und jede Sorge ist vergessen. Nur eine Hürde gilt es jetzt noch zu überwinden: Die geübte Technik beim Aufbau des Zeltes oder wenigstens einen kompetenten Retter, der nicht nur mit einem charmanten Lächeln alle Heringe befestigt, sondern auch gleich noch seinen Namen auf den Unterarm schreibt.

Mit einem aufgeregten Klopfer auf meine Schulter werde ich aus meinen Überlegungen gerissen. Flogging Molly betreten unter lautem Getöse die Bühne. Mein Becher ist leer, die Tasche fest unterm Arm; Fazit: tanzen, tanzen und tanzen!

Die irisch-amerikanische Folk-Punk-Band spielt über eine Stunde und im wirren Gedränge sind wir vertieft in rhythmische Melodien. Manchmal werfen wir uns kleine Blicke zu, die eindeutig signalisieren: „Das ist wirklich gut“. Der letzte Song ist gespielt und Sänger Dave King kündigt Seeed an. Ein Festival ist Höchstleistungssport.

Um 12 Uhr kommen Seeed impulsiv auf die Bühne und kein Fuß bleibt jetzt noch stehen. Die Spiellust ist den Musikern deutlich anzusehen. Stilvoll schwingen sie nicht nur ihre Hüften, sondern animieren jeden Besucher.
Auf dem Rückweg zum Camp treffe ich Robin, der sein Zelt nicht wiederfindet. Ohne nachzudenken nehme ich ihn mit zu meinen neuen Zeltfreunden. Bei Bier, kaltem Fleisch und trockenem Toast lachen wir bis in die Morgenstunden.

Doch als mein Findelkind Robin beginnt, seine Kleidung vom Körper zu reißen, und splitternackt über den Zeltplatz läuft, kann ich keine Steigerung mehr erwarten und verschwinde in mein kleines Zeltchen, welches sich schon jetzt gefüllt hat mit einer enormen Zahl von Spinnen und Ohrenkneifer, denen ich nach diesem Wochenende sicherlich einen Namen gegeben habe.

Noch kurz wälze ich mich hin und her, aber zu einem plötzlich einsetzenden Gesang vom Nachbarzelt schlafe ich tatsächlich seelenruhig ein.

Am nächsten Morgen weckt mich die Hitze. Ein Blick aus dem Zelt zeigt, dass alle Wolken verschwunden sind und die Sonne vom strahlend blauen Himmel einen Sonnenbrand verspricht.
Mit lautem Zurufen wird mir bewusst, dass meine Anwesenheit bereits vermisst wurde. Aus dem Zelt gekrochen, schnappe ich mir mein Handtuch und begebe mich auf die Suche nach den Duschen.

Noch schnell einen Kaffee für ein Festivalfrühstück und dann den frühen Nachmittag entspannt im Camp verbringen. Wir grillen, erzählen und streiten über die Hochwertigkeit der einzelnen Bands. Irgendwann wird das Konzertgelände betreten. Noch erschöpft vom Vortag lausche ich dem sympathischen Dendemann. Der Samstag sieht ein straffes Programm vor. The National kommen auf die Bühne. Sänger Matt Berninger zeigt seine exzentrische Theatralik.

Während die Sonne untergeht, ertönen die Klänge von Sorrow. Wie aus Trance erwacht, werde ich von dem lauten Ruf: „Jetzt Interpol“, aus meiner melancholischen Musikwelt gerissen. Um meinen guten Platz nicht zu verlieren, setze ich mich während der Umbauzeit nur allzu gerne auf den staubigen Boden. Der Dreck ist mittlerweile nicht nur an Hose und Shirt, sondern auch im Gesicht und im Haar. Interpol treten mit einer höflichen Zurückhaltung auf die Bühne und verschwenden keine großen Worte. Ein gelungenes Livekonzert mit einem charismatischen Paul Banks. Es wird voll. Immer mehr Leute drängeln nach vorne. Plötzlich stehe ich in einer Gruppe Teenager, die versuchen, meinen Platz mit einer Raffinesse zu erkämpfen, das mir der Atem stockt. Mit einem Lächeln gewinne ich jedoch meinen Platz zurück.

Highfield

Die britische Band The Kooks stolziert zu ihren Instrumenten. Ohne Frage ein buntes Spektakel. Während Sänger Luke Pritchard mit weiblicher Grazie über die Bühne tänzelt, fasst er sich in seinen dunklen Lockenkopf und gewinnt mit seinem kindlichen Jungencharme weitere Herzen dazu. Das Publikum singt jeden Song lautstark mit und lauscht andächtig, als Pritchard neue Lieder vorstellt. Neben mir steht ein älterer Mann, der, wie ich, eher beobachtet als verliebt schwärmt. Ein kurzes Kopfnicken lässt uns einvernehmlich feststellen: Trrotz jugendlichem Übermut sind The Kooks eine talentierte Liveband.

Mittlerweile ist es halb zwölf. Ich versuche mich irgendwie aus den Massen zu schlängeln, aber die Menschen bewegen sich keinen Zentimeter. Während ich mit Spannung den Auftritt von Skunk Anansie erwarte, platzieren sich die Meisten für den Headliner 30 Seconds To Mars. Unter Anstrengungen schaffe ich es zur Blue Stage und starre die Frontfrau Skin von Skunk Anansie bewundernd an.

Mit einem Glitzeranzug und einer übernatürlichen Energie nimmt die Sängerin das gesamte Publikum ein. Ein starker Auftritt, der erklärt, warum die Band seit Mitte der 90iger erfolgreich ist. Ich bemerke, peinlich berührt, dass ich das Konzert mit offenem Mund verfolge. Aber ich werde unruhig. Immer wieder schweift mein Blick zurück zur Green Stage. Gerüchte besagen, dass 30 Seconds To Mars eine spektakuläre Show darbieten.

Die Warnungen an den Monitoren, hinsichtlich der Verwendung von Strobo-Licht, steigert meine Neugier. Ich gehe vorsichtig zur großen Bühne. Das Licht geht aus und ein impulsives Schlagzeugsolo eröffnet das Konzert. Die Stimme von Jared Leto ertönt. Er fährt von unten auf die Bühne. Die großen Monitore leuchten auf. Das Video von A Beautiful Lie wird gespielt und Leto setzt mit dem Refrain ein. Im Anschluss gestaltet sich der Auftritt etwas zwiespältig. Seine Stimme ist nicht in Höchstleistung und während die Fans im vorderen Bereich vor der Bühne kaum an sich halten können, beobachten die hinteren Reihen das Schauspiel mit gemischten Gefühlen.

Plötzlich bricht Jared Leto den nächsten Song ab und fordert mehr Einsatz vom Publikum. Mit einer überheblichen Attitüde schafft er es nicht die Menschen zu überzeugen und dieser Umstand ist seiner Stimmung deutlich anzumerken. Auch Luftballons, gefüllt mit Konfetti helfen nicht darüber hinweg. Viele strömen vom Festivalgelände zurück zum Zeltplatz. Auch ich setze mich bald in Bewegung und treffe auf übermüdete Zeltfreunde. Irgendwann ist es zwei Uhr und ich bemerke, dass meine Gelenke eine Pause verlangen. Ich stolpere zu meinem Zelt und setze meine Kopfhörer auf, um mit The National einzuschlafen.

Gegen Mittag wache ich am Sonntag auf. Das gleiche Schauspiel wie bereits am Tag zuvor beginnt. Duschen, Kaffee, Essen und sitzen. Gegen fünf Uhr packen alle schleunigst das Nötigste ein und wir machen uns auf den Weg zu den Deftones. Die schwüle Hitze macht uns das Leben schwer. Ein Eis nach dem nächsten wird vernascht und dient als erfrischende Kühlung. Der Eisverkäufer lächelt mich an und fragt: „Nicht doch gleich zwei?“. Verdutzt schüttle ich meine staubigen Locken und schlürfe zu Green Stage. Panic! At the Disco schwitzen gemeinsam mit dem Publikum.

Highfield 2011

Ich kann mich jedoch nicht tanzend bewegen und gebe allen zu verstehen, dass die sanfte Bewegung meines Fußes ist mein persönlicher Ausdruck einer sonntäglichen Tanzwut. Nach dem Konzert hocke ich mich in den Sand vor der großen Bühne. Von Jimmy Eat World bekomme ich nicht viel mit. Ich muss Kräfte sammeln. Ich starre durch die Beine der anderen Festivalbesucher und drehe eine Zigarette nach der nächsten. Ein Mädchen mit einem bunten Band im Haar lächelt mich an, ich erwidere ihren Blick und denke zum ersten Mal an diesem Wochenende über die entspannten und offenen Festivalbesucher nach.

Das Konzert ist vorbei. Noch schnell ein kühles Getränk und schon stapfe ich summend näher an die Bühne. Bevor es musikalisch weitergeht, verliere ich mich in einem Gespräch mit einem Mädchen. Wir reden über Musik und Konzerte. Das erste Lied von den Dropkick Murphys unterbricht unsere Unterhaltung. Es wird getanzt, gesungen und geklatscht. Ein letzter Blick zum rötlich gefärbten Himmel und die Sonne geht unter. Ganz unterschiedlich wird dabei die Musik von der irisch-amerikanischen Folk-Punk-Band aufgenommen. Während einige wild umherspringen, genießen andere einfach nur das Konzert. Aber die eigene Interpretation von TNT lässt keinen Rücken trocken.

Erschöpft lassen wir uns auf die Wiese fallen, strecken alle Glieder und reflektieren alle bisherigen Erlebnisse. Ein allerletztes Mal müssen nun Füße und Rücken unseren Musikelan aushalten. Die Leute strömen an die große Bühne. Dicht an dicht nehme ich die Körpergerüche der anderen Konzertbesucher wahr. Es ist heiß, meine Füße schmerzen, aber das hält mich nicht von einem Lächeln ab. Pünktlich viertel elf verdunkelt sich die Bühne. Die Menge grölt und Dave Grohl tritt hervor. Das Konzert der Foo Fighters beginnt. Dave Grohl reibt sich den Bart und erklärt, er werde ewig spielen. Neben Songs vom neuen Album spielen sie die Klassiker Best of you und Wheel. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Mittendrin habe ich dennoch so viel Freiraum, dass ich jede Minute springend genieße. Das letzte Konzert des Festivals dauert über zwei Stunden und bietet einen fulminanten Abschluss.

Mit wackligen Beinen trotte ich etwas sehnsüchtig zurück zum Campingplatz. Wir sitzen noch bis in die Morgenstunden. Die letzte Nacht endet gegen neun Uhr.
Müde, aber mit feinsinnigem Witz, packen wir unsere Sachen zusammen, verabschieden uns von neuen Bekanntschaften und sitzen gegen Mittag im Auto. Das Highfield ist vorbei und der Alltag hat uns wieder. Aber wir sind bereits verabredet, in einem Jahr an gleichem Ort und gleicher Stelle.

 


 


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