Down to Date – Local Heroes Europafinale Wien
Zwischen zwei backsteinfarbenen Fabrikgebäuden irgendwo in Berlin Spandau steht ein großer schwarzer Nightliner. Vor ihm warten Teile einer größeren Gruppe dem Nieselregen trotzend und in Jacken eingemummelt. Der andere Teil läuft, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und mit Instrumenten bepackt, hektisch zwischen Proberaum und dem Kofferraum des Tourbusses hin und her. Irgendwie muss schnell noch alles verstaut werden. Es ist fast Mitternacht.
Text: Susann Schwass Fotos: Susann Schwass
Eine eigenartig emsige Vorfreude hängt im Raum zwischen diesen zwei Gebäudewänden. Noch heute Abend wird es losgehen: Über die deutsche Grenze, holperige tschechische Autobahnen, dieses kurze Stück Niemandsland zwischen Tschechien und Österreich, weiter bis nach Wien.
Denn dort werden ‚Down To Date‘, die deutsche Gewinnerband des diesjährigen local heroes Bandwettbewerbes, den Siegern der anderen Teilnehmerländer im Europafinale die Stirn bieten müssen.
Hinter dem Namen ‚local heroes europe‘ verbirgt sich eine Initiative der großen nichtkommerziellen ‚local heroes‘ Nachwuchsband-Wettbewerbe verschiedener europäischer Länder. Bei dem Europafinale in Wien treten in diesem Jahr im Club ‚((szene))‘ die Vertreterbands aus fünf verschiedenen Teilnehmerländern auf: Österreich, Schweiz, Rumänien, Ungarn und Deutschland. Es ist in diesem Jahr bereits das zweite mal, dass im Rahmen der local heroes Veranstaltungsreihe ein Europafinale statt findet.
Gelassen stehe ich zusammen mit den anderen Journalisten in einem kleinen Halbkreis und beobachte neugierig die herumwuselnden Musiker, als plötzlich der Busfahrer den Kopf aus der Tür steckt, uns heran winkt und bittet einzusteigen.
Mit einer kleinen Verspätung setzt sich der Bus in Bewegung. Der Kontrast zwischen dem eintönig schwarzen Draußen außerhalb der abgedunkelten Busfenster und den trotz der Uhrzeit unermüdlichen Gesprächen innerhalb des Busses könnte nicht größer sein. Irgendwie schwebt so ein allgemeiner Konsens im Raum, dass das hier gerade viel zu spannend ist, um schlafen zu gehen.
Die Dimensionen der Veranstaltungsreihe sind nach über zwanzig Jahren ‚local heroes‘ Contest enorm. Allein in Deutschland haben sich in diesem Jahr mehr als 1500 Bands am Nachwuchswettbewerb beteiligt. Dabei wurde auf insgesamt 200 Wettbewerbsveranstaltungen vor rund 90.000 Zuschauern gespielt. Nach unzähligen regionalen Runden und 14 Landeswettbewerben konnten sich die Gewinnerbands für den Bundesausscheid am 3. November in Salzwedel qualifizieren.
Es sei von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden, wie viele Runden eine Band durchspielen müsse, erklärt ‚Down to Date‘-Sänger Andy. „Die Gewinner aus Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hatten ein Finale und sind danach gleich im Bundesfinale gelandet. Bei uns war es so, dass wir in Berlin drei Runden spielen mussten, dann das Bundesfinale und nun das Konzert in Wien.“
Nach einer Weile Fahrt über holperige tschechische Landstraßen durchmischen sich die Gesprächsgruppen. An unserem Vierertisch mir gegenüber unterhält sich ‚local heroes‘ Mitbegründer Dieter Herker mit einer Fotografin über die Showqualitäten der Band: „Man muss sie eben live sehen. ‚Down To Date‘ ist eindeutig eine Live Band. Das hat man besonders beim Bundesfinale gemerkt.“
Nach einigen Stunden Fahrt komme ich nicht umhin gewisse Parallelen zwischen ‚Down To Date‘ und ihrem Bandmaskottchen zu ziehen: Dem Blaufußtölpel, einem tropischen Meeresvogel der auf den Galapagosinseln heimisch ist – Irgendwie ausgefallen, durch seine großen knallblauen Füße, auf einen oberflächlichen Blick hin vielleicht manchmal etwas ungelenk, im richtigen Element allerdings äußerst gewandt und durchaus erfolgreich. Und gerade durch diese Mischung sympathisch.
„Uns gibt es seit Herbst 2010.“, rollt Schlagzeuger Gabriel die Bandgeschichte auf, „Wir kannten uns alle schon vorher, kommen aus derselben Gegend, haben vorher in anderen Bands gespielt, die sich nach und nach aufgelöst haben. Und dann haben wir uns zusammengefunden.“ Die Siege der Vorrunden und des Deutschlandfinales kommentiert er gelassen: „Ich glaube, dass wir es erst seit dem Deutschlandfinale so richtig ernst genommen haben.“ Auch sein Bandkollege David pflichtet ihm bei: „Wir können es nicht fassen, dass wir ‚Idioten‘ da auf der Bühne stehen und dann auch noch gewinnen.“
Als ich nach mehr als 12 Stunden Fahrt und einigen Zwischenstopps mit einem kleinen Satz die letzten Stufen der Treppe aus dem Bus heraus auf einmal bewältige, lande ich nicht wie erwartet auf dem Fußgängerweg, sondern auf Wiener Kopfsteinpflaster.
Die Lücke, die für den Bus freigelassen wurde, ist um wenige Meter zu kurz. Der Bus parkt mitten auf der Straße. Ein schwarzer Van versperrt den Weg und sein Besitzer ist nicht aufzufinden. Kurzerhand packen Band und Freunde mit an und schieben den Van gemeinsam soweit nach vorne, bis genügend Platz ist. Zum Warten bleibt keine Zeit, denn der Terminplan lässt nicht viel Spielraum. Bereits kurz später ist ein Interview mit Michael Katz, dem Produzenten des Films „Local Heroes“, und dem Komponisten der Filmmusik Hans Wagner angekündigt worden.
„Der Film geht um junge Menschen, die versuchen wo rauszukommen, die versuchen etwas zu erreichen, die aber auch erst versuchen einen Platz im Leben zu finden. […] Als klar war, dass es von Seiten des Contest ‚local heroes‘ keine Einwände gibt, dachten wir, es könnte sich ein schöner Synergieeffekt ergeben, aus Film und Contest.“, beschreibt Hans Wagner den Prozess der Namensfindung.
Inwieweit die Filmhandlung wirklich den Alltag einer typischen ‚local heroes‘-Band widerspiegelt ist diskutabel. Betrachtet man die Gewinner der verschiedenen Landesfinale ist nicht nur das Altersfeld der Bandmitglieder erstaunlich breit gefächert, sondern auch ihr Hintergrund und die Bandgeschichte. Besonders ‚Down To Date‘ scheinen sich durch ihre teilweise angenehm alberne Art von dem, wie im Film dargestellten, pathosgeladenen Klischee des ewig suchenden Künstlers abzuheben.
Von der taghellen Straße im Wiener Industriebezirk Simmering aus trete ich durch den Seiteneingang in den Konzertsaal der ‚((szene))‘. Und es ist wirklich ein bisschen als würde man in eine Filmszene abtauchen: Die schummerige Beleuchtung, der menschenleere Zuschauerraum und vor allem die Bühne zu meiner Rechten – ohne Musiker und Instrumente. Bis jetzt scheinen die meisten Bands noch nicht angekommen zu sein, nur ein paar Techniker huschen von drinnen nach draußen. Vor mir, in der Mitte des Konzertraums, dreht sich Timo, der Gitarrist der Band, mehrmals im Kreis, inspiziert die Gegebenheiten und kommentiert mit einem ironischen Unterton: „Hm, na ob wir DEN Saal füllen können?“
Die Stunden bis zum Auftritt vergehen erstaunlich schnell. Als ich die Töne der ersten Band nebenan im Konzertraum vernehme, kommt es mir so vor, als wären wir noch gar nicht allzu lange hier. Ob das an der allgemeinen Geschäftigkeit, den Gesprächsthemen oder dem Backstagebier liegt, fällt mir schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist es ungemein interessant zu verfolgen, wie sich sowohl vor als auch hinter der Bühne die verschiedenen Kulturen vermischen. Es ist schön zu sehen, dass Musik die Kraft hat Menschen über Sprach- und Altersgrenzen hinweg zu verbinden.
„Mit dem jährlichen Europafinale soll der europäischen Vernetzung der jungen Musikszene zu neuer internationaler Dynamik verholfen werden“, kommentieren die Veranstalter von ‚local heroes europe‘ die diesjährige Abschlussrunde. Nicht zuletzt durch eine lebendige Mischung von Musikgenres wird so am Finalabend eine ganz eigene kulturelle Dynamik geschaffen.
Während ‚Krepuskul‘ aus Rumänien eine Richtung einschlagen, die sie selbst auf Experimental Metal getauft haben, warten ‚Hot Can Luck‘, die Gastgeber aus Österreich, mit einem heiteren Mix aus Blues, Rock und Ska auf. In eine ähnliche Richtung steuern ‚InBalkon‘ aus der Schweiz und liefern selbstsprechend „frischen und saftigen Ska mit einem Hauch Balkan“. Auch die Rockmetalband ‚Alone in the Moon‘ aus Ungarn wird vom Publikum gefeiert.
‚Down To Date‘ haben per Losverfahren den dritten Auftrittsslot des Abends gezogen. Ein aufmerksamer Betrachter, der sich das wartende Publikum anschaut, kann leicht sagen, wer die Band schon einmal live gesehen hat und wer nicht. Da sind Gesichter mit einem fast schelmischen Grinsen und solche, die einfach nur ahnungslos wartend dastehen. Nachdem der Moderator die Band ankündigt herrscht noch einige Zeit Stille und dann ertönen die ersten Takte eines Liedes, dass die meisten versierten Internetnutzer sofort erkennen müssten. Unter den Klängen von ‚Gangnam Style‘ hüpft die Band auf die Bühne und tanzt sich warm. Die letzten Töne des Liedes mischen sich bereits mit härteren Gitarrenriffs, die dann auch weiterhin den Auftritt prägen.
Es fällt schwer sich ausschließlich auf die Musik von ‚Down To Date‘ zu beschränken und diese isoliert von ihrer Performance zu beschreiben: Was man da hört ist am ehesten sehr melodischer Metalcore, bei dem sich die clean gesungenen Parts sehr ausgewogen mit den gegrowlten abwechseln. Aber eigentlich macht es auch keinen Sinn den Auftritt so zu zerpflücken, denn das ist wahrscheinlich das Besondere daran: Da hüpfen die Band-Azubis in Sumoringer-Kostümen über die Bühne, der Sänger springt wild gestikulierend auf seinem Podest herum und feuert das Publikum an. Im Publikum tanzen Leute euphorisch und springen auf der Absperrung herum, Gast-Rapper Risk gibt eine Prise Hip Hop dazu. Es ist eben auch das Ganze drumherum, was den Auftritt ausmacht und es wird klar, was Dieter Herker meinte als er sagte: „Down To Date ist eben eine Live Band“.
Nachdem alle Bands gespielt haben, zieht sich die Jury zurück. Das Publikum verkürzt sich die Wartezeit mit den ‚local heroes Austria‘-Siegern von 2008 ‚The Austerities‘. Die Kriterien, die in die Bandbewertung eingehen sind breitgefächert. Intonation, Zusammenspiel, Vocals, Bühnenpräsenz, Musikalität – Der Jury mit Vertretern aus allen teilnehmenden Ländern fällt die endgültige Entscheidung sehr schwer und am Ende sind es nur ein paar Punkte, die den Unterschied machen.
Julia Wartmann, die Projektorganisatorin von ‚local heroes Germany‘, steht zusammen mit anderen Organisatoren, Mithelfern und allen Bands auf der Bühne. Sie schaut ins Publikum. „Heute dürft IHR mal zuerst erfahren, wer gewonnen hat und nicht die Bands.“, sagt sie und entrollt die Banderole in Richtung der Zuschauer. Das Publikum jubelt. Julia dreht das Blatt herum und liest noch einmal für alle, die es bis jetzt noch nicht lesen konnten, vor: „Gewonnen haben Down To Date!“.
Es scheint eine Weile zu dauern, bis es die Band realisieren kann. Dann hüpfen sie, ähnlich wie bei ihrem Auftritt, alle wild durcheinander. André nimmt das Blatt, auf dem Julia die Gewinner notiert hat, und streckt den Arm breit grinsend in die Höhe. Bassist Gustav reißt es ihm aus der Hand und springt Risk auf den Rücken, um es noch weiter nach oben halten zu können. Selbst die anderen Bands scheinen angesteckt worden zu sein und feiern mit.
Diese euphorische Stimmung trägt sich auch mit in den Bus und begleitet uns die ganze Heimfahrt.
„Wir haben zum ersten Mal im Ausland gespielt, wir sind mit einem Nightliner gereist – es ist alles sehr neu und abgefahren.“, fasst David zusammen, „Dass wir dann alles erreicht haben, was man bei ‚local heroes‘ gewinnen kann, ist unbegreiflich.“
Friedrich Zimmermann, der Orgainsator des Europafinales, sieht den Abend als würdigen Abschluss einer langen Wettbewerbssaison. „Für mich persönlich war es vor allem das Miteinander, das mich jetzt noch begeistert. Ich habe mit allen Bands persönliche Gespräche geführt und bekam von diesen unisono attestiert, dass Dieter mit ‚local heroes‘ etwas Wunderbares „erfunden“ hat. Dass das Publikum nicht nur bei ihrer Lieblingsband, sondern auch bei allen anderen Bands mitgefeiert hat, bestätigt unser Bestreben, dass nicht der Wettkampf, sondern die Veranstaltung selbst im Vordergrund steht. Kompliment daher auch an das Publikum!“