Deutschland wieder einig Partyland?

Spätestens der Auftaktsieg des DFB-Teams gegen Portugal erweckte wieder die Nation der fahnenschwenkenden Feierbiester. Die Fanmeilen sind mittlerweile vollgepackt – die Hoffnungen sind groß.

GrosserText: Andreas Lilienthal | Fotos: Padmanaba01/pixabay.com, werner22brigitte/pixabay.com, times/wikipedia.de

Doch wenige Tage vor dem ersten Spiel der Nationalmannschaft schien die Stimmung in der Heimat noch wenig weltmeisterlich. Die großflächige Beflaggung an Roller, Fahrrad und PKW fehlte ebenso wie an Hauswänden, Balkonen und Wohnzimmerfenstern. Die WM schaffte es nicht einmal zum Gesprächsthema Nummer eins in vielen Büros.

Woran es lag, war schwer festzumachen. Vermutlich eine Mischung aus sportlicher Skepsis in Bezug auf die Titelchancen des eigenen Teams und der geographischen Entfernung zum Ort des Geschehens. Vor allem die Zeitverschiebung sorgte für wenig Begeisterung. Wie gern erinnern wir uns an die grenzenlosen Jubelstürme bei der WM 2006 im eigenen Land. Unser persönliches Sommermärchen. Doch mit Krampf und bloßen Erinnerungen lässt sich eben keine Stimmung erzeugen.

Einzig der Einzelhandel hatte schon längst geflaggt: Supermarktregale in einem Meer aus Nationalfahnen, brasilianische Sambatänzerinnen nebst dem kugeligen Ailton aus Pappe und schwarz-rot-goldenen Vuvuzuela-Überresten im Schaufenster des Dorf-Friseurs – Verkaufsstrategie statt Volkseuphorie.

Doch seit dem 16.06. um exakt 18.11 Uhr war die gesamte Tristesse schnell vergessen, das WM-Fieber hatte ganz Deutschland endgültig wieder angesteckt. Der frühe Führungstreffer durch Thomas Müller beim furiosen 4:0-Auftaktsieg des DFB-Teams über Portugal versetzte Millionen von Fans in Ekstase.

Auf den Fanmeilen wippten von Berlin bis München tausende Menschen mit im Müller-Takt. Alleine vor dem Brandenburger Tor feierten 100.000 Fans das deutsche Team. Auch die Kneipen und Bars der Republik sind nun endlich richtig voll.

Public Viewing mit Stadionatmosphäre

Doch das 2006 begründete Rudelgucken vor Großleinwänden hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Nicht mehr nur die altbewährten Fanmeilen kommen für den gemeinsamen Fußball-Genuss in Frage. Zum einen haben die Fans das chillige Sitzen im heimischen Stadion für sich entdeckt zum anderen sind private Public Viewing Partys voll im Trend.

Was gibt es schöneres für einen Fußballfan, sich die Spiele der Nationalmannschaft im Stadion anzuschauen. Und wenn man schon nicht live das Vergnügen hat, dann doch zumindest auf einer riesigen LED-Leinwand.

Eine völlig neuartige Form des Public Viewings bietet beispielsweise Zweitligist Union Berlin. Rund 3.000 Fußball-Fans können die Spiele im Stadion an der Alten Försterei aus dem Innenraum auf ihren selbst mitgebrachten Sofas verfolgen – Wohlfühlen wie im eigenen Wohnzimmer. Die Resonanz verblüffte.

Aber auch in Magdeburg und Halle wurde ordentlich gefeiert. Beim Auftaktspiel gegen Portugal waren zahlreiche Fans zum Public Viewing in die verschiedensten Locations gekommen. Auch in den nächsten Tagen werden wieder Tausende Fans erwartet.

Und vielleicht, ja vielleicht erleben sogar Millionen von Fans in den Public Viewing-Arenen in ganz Deutschland am 13.07. eine Neuauflage des Sommermärchens von 2006, wenn Deutschland im Finale Brasilien mit 3:0 aus dem altehrwürdigen Maracana fegt.

Doch ein fader Beigeschmack bleibt – dies darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

Ich müsste als fußballbegeisterter Autor verrückt sein, wenn ich behaupte, dass die Fußball-Weltmeisterschaft mich kalt ließe. Eine WM ist für mich immer etwas Besonderes dazu noch in Brasilien – allein diese Informationen würden normalerweise ausreichen, um mein Herz zu entflammen. Doch diesmal ist die Stimmung etwas getrübt.

Funktionäre und Politiker, die aus der Korruption eine Art Volkssport gemacht haben. Unterbezahlte Arbeiter, die sich bei unnötigen und überteuerten Stadionbauten zu Tode schuften. Tausende von armen Schluckern, die aus ihren Favelas geprügelt werden, um Platz für Parkplätze zu schaffen. Ein Fußballidol namens Pelé, der sich bei dieser WM eine goldene Nase verdient und sich trotzdem erdreistet, es als belanglos und normal zu bezeichnen, dass es Tote und Verprügelte gegeben hat. Ein Weltverband, der sich aufführt wie eine Kolonialmacht.

Gut möglich, dass auch bei mir diese emotionale Distanz bald Geschichte sein wird. Aber zumindest der fade Beigeschmack wird bleiben. Denn so schmeckt mir der Fußball ganz und gar nicht.

 


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